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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken
Autoren: Thomas Finn
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knipste das Gerät abermals aus und schloss das Wohnzimmerfenster nun doch. Anschließend entsorgte er das Wischwasser im Küchenwaschbecken und sah dabei zu, wie es gurgelnd ablief.
    Drüben aus dem Wohnzimmer war plötzlich ein Knacken zu hören, das so klang wie brechendes Eis. Im nächsten Moment schallte ein singender Kinderchor bis hinüber in die Küche. Die blassen Stimmchen klangen seltsam verzerrt, so als habe jemand einen Radiosender falsch eingestellt: Oh Kinderlein kommet, oh kommet doch all …
    Robert eilte irritiert aus der Küche und sah durch das Milchglas der Haustür, dass Andy in diesem Moment draußen nach der Klingel tastete. »Warte, ich komme gleich!«
    Abermals betrat Robert das Wohnzimmer – und blieb mit offenem Mund stehen. Der Fernseher lief schon wieder, doch noch immer hatte er kein richtiges Bild. Stattdessen zeichneten sich im Geflimmer auf der Mattscheibe die vagen Konturen einer hohlwangigen Bischofsgestalt samt Mitra und Hirtenstab ab, die ihn aus tief eingesunkenen Augen anstarrte, während in den Lautsprechern und begleitet von sphärischen Pfeiftönen das Kinderlied verklang: … So nimm unsre Herzen zum Opfer denn hin; wir geben sie geeeherne mit fröhlichem Sinn – und mache sie heilig und selig wie dein’s, und mach sie aufeeewig mit deinem nur eins …
    Robert langte nach der Fernbedienung und klickte sich durch die Programme. Überall das gleiche Bild. Teufel, was war denn heute mit dem verdammen Apparat los? Plötzlich war da schon wieder nur noch Schneegeflimmer. Doch es färbte sich zunehmend rot. Robert rieselte es eiskalt den Rücken herunter, als abermals das Antlitz des unheimlichen Bischofs auf der Mattscheibe erschien. Ihm war, als steige die Gestalt aus einem Meer von Blut auf. Sie kam näher und immer näher. Das Gesicht wurde dabei größer und immer größer … Mit einem lauten Aufschrei schaltete Robert das TV-Gerät aus und warf die Fernbedienung auf die Couch. Die Stille, die das Zimmer umfing, war fast noch unheimlicher als das eben Erlebte. Doch das war es nicht allein. Seine Sinne mussten ihm einen Streich gespielt haben. Anders konnte es nicht sein.
    Robert flüchtete in Richtung Haustür, wo er sich hastig Schal und Lederjacke überstreifte und nach den Schlittschuhen und dem Feldhockeyschläger griff, die er bereits gestern dort deponiert hatte. Ohne zu überprüfen, ob seine Mutter das Bad inzwischen verlassen hatte, rief er einen Abschiedsgruß und betrat die verschneite Gasse vor dem Haus.
    Dort rieselten Schneeflocken vom Himmel. Andy stand eingemummelt vor der gegenüberliegenden Hauswand neben einer Mülltonne auf der sein eigenes Paar Schlittschuhe lag. Außerdem hatte er natürlich richtige Eishockeyschläger dabei. Davon sogar gleich zwei, wobei einer neu war. Ohne Vorwarnung warf er einen Schneeball nach ihm, dem Robert gerade noch ausweichen konnte.
    »He, heute bist du ja mal richtig schnell. Ich hatte schon befürchtet, du brauchst noch ’ne Stunde, um dich aufzustylen.«
    »Ich bin immer schnell«, gab Robert lahm zurück und schlug den Kragen hoch. »Wieso bist du schon so früh hier?«
    Seltsamerweise verzichtete Andy auf einen weiteren lockeren Spruch. »Ich dachte mir, dass wir die Sache im Vereinshaus durchziehen, solange alle beim Mittagessen sind. Du hast doch den Schlüssel dabei, oder?«
    Robert kramte den Nachschlüssel zum Vereinshaus fahrig aus der Jackentasche und präsentierte ihn seinem Freund. »Ja, kann losgehen.«
    »Alles klar.« Andy versuchte sich an einem lässigen Grinsen, doch es wirkte aufgesetzt, so als sei er nicht ganz bei der Sache. »Konrad wird den diesjährigen Krampuslauf garantiert nicht so schnell vergessen, glaub mir.« Er griff sich seine Sachen, klopfte Robert kameradschaftlich auf die Schulter, und sie stapften gemeinsam durch den Schnee in Richtung Ortsmitte. Und doch wollte sich bei Robert keine rechte Vorfreude auf den geplanten Streich einstellen. Er musste an das zurückdenken, was er auf dem Bildschirm zu sehen geglaubt hatte. Die Sache war natürlich völlig verrückt, aber das Gesicht der seltsamen Bischofsgestalt im Fernseher hatte Schlieren bekommen und sich verändert. Robert fand einfach keine Erklärung für das soeben Erlebte. Am Ende hatte das Gesicht so ausgesehen wie das seine.
    »Vater im Himmel, steh uns bei. Hilf unseren Töchtern, dass ihre Seelen nicht der Versuchung anheimfallen. Du … Du hast unsere Gebete doch schon einmal erhört. Als die Dunkelheit in unseren Herzen
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