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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
Autoren: Alessandro D'Avenia
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diesem Türspalt weht mir plötzlich all das vergessene Glück entgegen, das ich nach Beatrices Tod verdrängt hatte. Es weht mich an, umfängt mich, überflutet mich und raunt mir fast singend zu: » E riuscirò sempre a fuggire dentro colori da scoprire …«
    Unsere Umarmung fügt uns zusammen wie zwei Legosteine.
    »Ich finde, wir passen perfekt ineinander«, flüstere ich ihr ins Ohr.
    Silvia umarmt mich noch fester. Ihre Umarmung lässt mich meine Kanten, meine Macken und Stacheln spüren. Und ich fühle, wie sie runder und weicher werden und sich sanft in ihre Kerben schmiegen.
    Terminator wetzt in Kreisen um uns herum, die uns wie im Märchen vor jedem bösen Zauber schützen.
    Und ein Kuss ist die rote Brücke zwischen unseren Seelen, die ohne jede Angst über dem weißen Abgrund des Lebens tanzen.
    »Ich liebe dich, Leonardo.«
    Mein Name, mein vollständiger Name mit dem vorangestellten Verb in erster Person, ist die Formel, die alle verborgenen Geheimnisse der Welt erklärt.
    Ich werde Leo genannt, aber ich bin Leonardo.
    Und Silvia liebt Leonardo.

I ch zeige dir ein Spiel.«
    »Aber das ist nicht so ein blöder Contest von dir, oder?«
    »Nein, Quatsch, Beatrice hat’s mir beigebracht: Es heißt das Spiel der Stille.«
    »Ist das so was, was man im Kindergarten gespielt hat?«
    »Nein, ist es nicht. Hör zu. Man legt sich schweigend nebeneinander. Dann macht man fünf Minuten lang die Augen zu und konzentriert sich auf die Farben, die unter den Lidern auftauchen.«
    Die rote Bank ist für zwei ziemlich eng, aber wenn wir uns rücklings ganz dicht nebeneinanderquetschen, geht es. Auch das ist Liebe: sich gemeinsam Platz schaffen, wo kein Platz ist.
    Hand in Hand liegen wir schweigend und mit geschlossenen Augen da, der Wecker des Handys ist auf fünf Minuten gestellt.
    Als ich nach zwei Minuten heimlich die Augen öffne und zu Silvia rüberschiele, sieht sie mich an. Ich tue empört und sage mit einem Blick auf das Handy-Display, dass wir noch mindestens drei Minuten haben.
    »Was hast du gesehen?«, fragt sie mich.
    »Den Himmel.«
    »Und wie war der?«
    »Blau …«, wie deine Augen, will ich sagen, krieg’s aber nicht heraus.
    Sie lächelt, als hätte sie verstanden, und ihr Lächeln ist perfekt, wolkenlos.
    »Und du?«
    »Alle Farben.«
    »Und was waren sie?«
    »Ein Harlekin … und der warst du.«
    »Danke … sehr nett«, sage ich leicht gekränkt.
    Ich hatte an den Himmel gedacht, vielleicht ein bisschen abgedroschen, aber der Himmel ist immer noch der Himmel. Und ich werde vor ihren geschlossenen Augen zu einer lächerlichen Karnevalsfigur.
    Silvia lacht, dann wird sie ernst, sieht mich unverwandt an und fängt an zu erzählen:
    »Harlekin war ein armes Kind. Eines Tages kommt er traurig nach Hause, und seine Mutter fragt ihn nach dem Grund. Am nächsten Tag war Karneval: Alle würden neue Kleider anziehen, nur er hatte nichts. Die Mutter nahm ihn in die Arme und tröstete ihn. Beruhigt ging Harlekin zu Bett. Die Mutter, eine Schneiderin, nahm ihren Korb mit bunten Flicken, die von anderen Kleidern übrig geblieben waren, und nähte sie in der Nacht aneinander. Am nächsten Tag hatte Harlekin das schönste Kleid von allen. Alle Kinder beneideten ihn und fragten ihn, wo er es herhabe, doch er schwieg, um das Geheimnis seiner Mutter nicht zu verraten, die die ganze Nacht damit zugebracht hatte, die bunten Flicken aneinanderzunähen: weiß, rot, blau, gelb, grün, orange, lila … Und er begriff, dass er nicht arm war, weil seine Mutter ihn mehr liebte als irgendjemand sonst, und sein Kostüm war der Beweis dafür.«
    Silvia schweigt ein paar Sekunden.
    »Leonardo, du bist der Schönste von allen, denn du hast es verstanden, Liebe zu nehmen und zu geben, du hast nicht gekniffen. Und das ist dir anzusehen.«
    »Du bist diejenige, die so ist, Silvia.«
    Ich starre schweigend in den Himmel, und Silvia schmiegt ihr Gesicht an meinen Hals, ihre Finger sind mit meinen verschränkt, ein perfektes Puzzle. Ich habe das Gefühl, als wäre meine Haut von Tausenden bunten Puzzleteilchen bedeckt.
    Im Grunde tut das Leben nichts anderes, als einem ein buntes Gewand zu schneidern, zum Preis unzähliger schlafloser Nächte, aneinandergenähte Überbleibsel anderer Leben.
    Und ausgerechnet, wenn wir uns am ärmsten fühlen, schneidert uns das Leben wie eine Mutter das allerschönste Kleid.

E rster Schultag. Ich wache vierzig Minuten früher auf. Nicht, weil der erste Schultag ist, sondern weil ich beschlossen
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