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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
Autoren: Alessandro D'Avenia
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habe, Silvia abzuholen. Mit meiner neuen 50er (die Wiedergeburt meiner alten, aber mit Bremsen …) jage ich durch die Septemberluft, die ebenso blau strahlt wie der Glücksbringer um meinem Hals. Wie Silver Surfer schieße ich zwischen den Autos dahin.
    Ich habe für alle und alles ein Lachen, selbst für die beiden verschnarchten Polizisten und die roten Ampeln, die vergeblich versuchen, meinen Flug zu bremsen. Als ich ankomme, wartet Silvia schon. Wenn jemand von uns beiden pünktlich ist, dann sie. Sie besteigt mein Ross. Ihre Arme legen sich um meine Taille. Mein Leben in ihren Händen.
    Sie hat keine Angst mehr wie früher. Vor allem, weil ich jetzt Bremsen habe. Das Moped hat sich in ein weißes Pferd verwandelt, das über den Asphalt sprengt, als hätte es Flügel. Ich lebe! Ich sehe zum Himmel auf, und fast sieht es aus, als wäre die noch sichtbare Mondsichel das weißschimmernde Lächeln Gottes … meilenweit entfernt von Nikos finsterem Blick, der herausfordernd neben mir auftaucht. Ich kann keinen Rückzieher machen. Ich lasse ihn gewinnen, weil ich Silvia hintendrauf habe, aber das Grinsen, das wir uns nach dem Contest zuwerfen, ist wärmer als der kräftigste Händedruck, röter als die festeste Umarmung. Mit Männern ist immer alles einfacher.

E rster Schultag. Neben Silvia erscheinen selbst die Schulstunden kurz, wunderbar und voller Leben. Es scheint, als hätte das sterbende Universum die nötige Bluttransfusion erhalten, um wieder atmen zu können.
    Heute fange ich an zu schreiben. Ich muss all diese Dinge aufschreiben, damit ich sie nicht vergesse. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber wenigstens dieses eine Mal will ich mich dahinterklemmen. Vielleicht nehme ich lieber einen Bleistift. Nein, einen Füller. Einen roten Füller. Rot wie Blut. Rot wie die Liebe, die Tinte auf den schneeweißen Seiten des Lebens. Ich glaube, die einzigen Dinge, die es zu erinnern lohnt, sind die mit Blut erzählten: Blut macht keine Fehler, und kein Lehrer muss etwas korrigieren.
    Das Weiß dieser Seiten macht mir keine Angst mehr, und das habe ich Beatrice zu verdanken: sie, weiß wie Milch, rot wie Blut.
    Ich blicke in das Blau von Silvias Augen: ein Meer, in dem man Schiffbruch erleiden kann, ohne zu sterben, und auf dessen Grund immer Frieden herrscht, auch wenn die See stürmisch ist. Und während dieses Meer mich wiegt, lächele ich das perfekte Lächeln. Mein Lächeln sagt ohne Worte, dass, wenn man wirklich zu leben anfängt, wenn das Leben in unserer roten Liebe badet, jeder Tag der erste ist, der Beginn eines neuen Lebens.
    Selbst, wenn dieser Tag der erste Schultag ist.

Lieber Leo,
    anbei Dein Manuskript. Ich habe es in einer Nacht an einem Stück gelesen, und mir ist die Geschichte eines berühmten griechischen Feldherren eingefallen, der mit nur sechshundert Mann, mit denen er auf den Parnass geflüchtet war, einem riesigen Feindesheer gegenübertreten musste, das sie am Fuße des Berges eingekesselt hatte. Die Niederlage war abzusehen, doch der Seher des kleinen Heers hatte eine Eingebung: Er trug seinen Kameraden auf, sich und ihre Waffen mit Kreide einzureiben.
    Diese Gespenstertruppe griff den Feind nächtens an, mit dem Ziel, jeden zu töten, der nicht weiß sei. Kaum erblickten die feindlichen Wachen die weißen Gestalten, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Sie glaubten an irgendein grausiges Wunder und fingen an, vor der Geisterschar schreiend davonzulaufen, die das Mondlicht weiß erstrahlen ließ. Die Truppen waren vor Angst wie versteinert, und so gelang es den sechshundert schließlich, das Lager samt viertausend blutüberströmten Leichen einzunehmen. Das Blut klebte an ihren Waffen und an ihrer weißen Haut, sodass sie, weiß und rot wie sie waren, im ersten Morgenlicht noch erschreckender aussahen.
    Leo, manchmal fürchten wir uns vor Feinden, die sehr viel schwächer sind, als wir glauben. Einzig das Weiß, in das sie sich in tiefster Nacht gewandet haben, lässt sie gespenstisch und schrecklich wirken. Der wahre Feind sind nicht die kalkweißen Soldaten, sondern unsere Ängste.
    Das Weiß muss es geben.
    Ebenso wie das Rot.
    Womöglich weißt Du es nicht, doch jüngste anthropologische Studien haben ergeben, dass die meisten Kulturen beim Benennen von Farben zunächst zwischen Hell und Dunkel unterscheiden. Wenn eine Sprache sich entwickelt und zwischen drei Farben unterscheiden kann, bezeichnet der dritte Begriff fast immer Rot. Die Namen für die anderen Farben kommen erst
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