Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
Autoren: Alessandro D'Avenia
Vom Netzwerk:
denen Düfte, Farben und Geräusche einem Regenbogen gleichen, der die Welt mit dem Himmel eint. Beatrice sieht von ihrem Stern auf mich herab. Ich habe die Gitarre in der Hand und einen pensioni erten Dackel zu Füßen: Terminator war die passende Ausrede, um zu dieser Tageszeit noch vor die Tür zu gehen, ohne allzu großen Verdacht zu erregen. Ich klingele und bitte sie, an ihr Fenster zu kommen.
    »Wer ist denn da?«
    Als sie aus dem zweiten Stock ihres zum Märchenschloss mutierten Wohnhauses hinaussieht, kann sie mich bei der funzeligen Straßenbeleuchtung kaum sehen. Aber sie kann meine Stimme hören.
    »Als du für mich den Brief geschrieben hast, hatte ich dir versprochen, für dich zu singen …«
    Stille. Ich stimme die Gitarre, verliere mich im Nachtblau des Himmels und fange an:
    Sai, nascono così
    fiabe che vorrei
    dentro tutti i sogni miei …
    E le racconterò
    per volare in paradisi
    che non ho.
    E non è facile restare
    senza più fate da rapire,
    e non è facile giocare
    se tu manchi …
    So werden Märchen geboren,
    wie ich sie in all meinen Träumen herbeiwünsche.
    Ich erzähle sie,
    um in Paradiese zu fliegen,
    die ich nicht habe.
    Es ist nicht leicht, zu bleiben,
    wenn es keine Feen mehr zu rauben gibt,
    es ist nicht leicht, zu spielen,
    wenn du nicht da bist …
    Im Dunkel stelle ich mir Silvias Gesicht vor, wie sie zuhört, meiner Stimme lauscht, und mir ist nichts mehr peinlich, denn wenn ich eine gute Stimme habe, dann, um sie ihr zu schenken:
    Portami con te,
    tra misteri di angeli
    e sorrisi demoni.
    E li trasformerò
    in coriandoli di luce tenera.
    E riuscirò sempre a fuggire
    Dentro colori da scoprire…
    Nimm mich mit,
    zwischen engelhaften Geheimnissen
    und teuflischem Lächeln.
    Ich verwandele sie in Konfetti aus zartem Licht.
    Immer kann ich in einen Strudel
    unentdeckter Farben entfliehen…
    Ich bin in sämtlichen Märchen der Welt und erfinde sie allesamt neu, verlege sie ins Hier und Jetzt, um sie greifbar zu machen. Andere Gesichter erscheinen von meinem Ständchen angelockt an den Fenstern des verzauberten Mietshauses. Doch ich pfeife drauf, ich bin der freiste aller Menschen, der es mit der ganzen Welt aufnehmen würde, um das, was wirklich zählt, nicht zu verlieren.
    Aria, respirami il silenzio,
    non mi dire addio,
    ma solleva il mondo …
    Luft, atme die Stille,
    sag mir nicht Lebwohl,
    heb die Welt aus den Angeln …
    Ich höre meine Stimme, die frei und schwer zugleich klingt. Ihre Schwere ist das Durchlebte, das sich in Schwingen und Federn verwandelt hat und sie schweben lässt, leicht und gewichtig zugleich. Erst jetzt, da ich schwer bin, kann ich fliegen.
    Aria, abbracciami.
    Volerò, volerò, volerò,
    volerò …
    Luft, umarme mich.
    Ich fliege, fliege, fliege,
    fliege …
    Stille. Als ich aufsehe, ist Silvias Blick nicht mehr da. Jemand pfeift und buht. Jemand anderes lacht, vielleicht aus Neid. Manche klatschen.
    Das Tor des verwunschenen Schlosses öffnet sich. Ein Schatten kommt langsam auf mich zu. Ich starre in das Gesicht, das sich im Halbdunkel nähert.
    »Silvia ist beim Tanzen … ich hab’s dir von oben zugerufen, aber du hast mich nicht gehört … sie müsste gleich zurück sein. Aber du bist gut. Ich hab genau zugehört. Das warst zu hundert Prozent du …«
    Silvias Mutter lächelt. Ich dachte, es wäre Silvia, aber es ist ihre Mutter. Zum Glück sieht man im Dunkel das Rot nicht, das mir ins Gesicht schießt und es im nächsten Moment womöglich zum Platzen bringt wie im übelsten Splattermovie.
    »Willst du raufkommen, bis sie zurück ist?«
    »Nein, danke, ich warte hier …«
    »Wie du möchtest. Aber … sing es ihr noch einmal …«
    Mit der Gitarre in der Hand hocke ich mich auf die Eingangsstufen wie ein Zigeuner, der um Geld für seine Kunst bettelt und versucht, seine Scham oder irgendein Geheimnis in der Schwärze der Nacht zu ertränken. Terminator rollt sich zu meinen Füßen zusammen und ist zum ersten Mal in seinem Leben zufrieden.
    Ich schließe die Augen und singe noch einmal, fast flüsternd, während meine Finger die Melodie zupfen, auf der meine Stimme wie auf einem fliegenden Teppich über die Dächer der Stadt dahingleitet und nach den Sternen greift, als wären sie die Noten des Liedes, versprengt auf der endlosen Himmelspartitur.
    Als ich die Augen öffne, sieht ein Gesicht mich an.
    Auf diesem Gesicht mit den blauen, aufmerksamen Augen bricht sich ein Lächeln Bahn, als würde man eine verrostete Tür öffnen, und aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher