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Weine nicht, Prinzessin

Weine nicht, Prinzessin

Titel: Weine nicht, Prinzessin
Autoren: Carolin Philipps
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schmale Brett. Es scheint stabil zu sein. Dann zieht sie den anderen Fuß hoch und steht mit wackligen Knien auf dem Fensterbrett. Mit der einen Hand hält sie sich am Fensterrahmen fest, die andere greift nach dem Rahmen des Nachbarfensters, das schon zu Pieters Wohnung gehört. Langsam schiebt sie ihren Fuß vorwärts und arbeitet sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts, ihren Körper ganz fest an die Hauswand gedrückt.
    Ihr wird ein wenig schwindelig.
    »Schau nicht runter, Lara. Schau nach oben!«
    Dann hat sie das Nachbarfenster erreicht. Sandra hält ihr die Hand hin. Lara springt ins Zimmer.
    »Los, beeil dich, bevor Pieter nach Hause kommt.«
    Sie laufen die Treppe hinunter auf die Straße.
    Vor der Kasse hat sich eine kleine Schlange gebildet.
    Lara tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Das Konzert ist bestimmt zu Ende, bevor wir da sind.«
    »Keine Sorge!« sagt Sandra. »Sie spielt weiter, bis du kommst. Sie spielt ja nur für dich.«
    Lara sieht ihre Freundin verwundert an. »Sie spielt für mich?«
    Sandra nickt. »Nur für dich! Horch!«
    Das ganze Haus ist erfüllt von den himmlischen Tönen.
    Endlich haben sie ihre Eintrittskarten. »Los, beeil dich. Heute ist der letzte Tag. Morgen ziehen sie weiter«, ruft Lara Sandra zu, als sie die Treppen hinaufeilen.
    Als sie oben ankommen, schickt die Frau an der Harfe die letzten Töne durch die Luft. Die Zuschauer in der Kirche lauschen, wie sie sich langsam auflösen. Zurück bleibt nur das Gefühl tiefer Geborgenheit.
    Die Harfenspielerin schaut hoch. Sie schaut sich suchend um.
    Lara steht bewegungslos da. »Wie kommt
sie
hierher?«, presst sie mit leiser Stimme hervor.
    »Ich habe sie angerufen«, sagt Sandra. »Ich habe ihr gesagt, sie soll herkommen. Keine Polizei, nur sie. Und dann kamst du nicht. Die Musikerin hat gesagt, sie soll spielen, irgendetwas, was du erkennst. Los, geh zu ihr.«
    Für einen Moment will Lara weglaufen, aber Sandra versperrt ihr den Weg.
    »Das ist deine letzte Chance, Lara. Wenn du jetzt gehst, ist es für immer. Du kannst es schaffen.«
    »Sie wird mich hassen. Sie weiß nicht, was ich getan habe.«
    »Sie weiß es. Und sie ist hier.« Sandra gibt Lara einen Schubs. »Na los, geh zu ihr.«
    Da geht Lara auf ihre Mutter zu und lässt sich in die Arme schließen.
    So stehen sie lange da und halten sich ganz fest umschlungen.

20
    Der Vater wartet im Auto auf dem Parkplatz auf sie. Auch er nimmt Sandra in den Arm. »Ich habe nicht mehr geglaubt, dass wir dich noch einmal lebendig wiedersehen«, sagt er und seine Stimme zittert ein wenig. »Die Polizei hat uns wenig Hoffnung gemacht. Mein Gott, Kind, was hat er mit dir gemacht? Tut es sehr weh?«
    Lara schüttelt den Kopf. Das blaue Auge und die geschwollenen Stellen am ganzen Körper hat sie fast vergessen. Sie schaut sich ängstlich um, erwartet jeden Augenblick, dass Henk um die Ecke kommt. Sie will ihn nicht sehen, sie will nur weg hier. Sie hat Angst vor seiner Wut, Angst vor seinem traurigen Blick. Weil sie nicht weiß, was sie dann machen wird.
    Auch die Eltern wollen auf dem schnellsten Weg nach Hause zurück.
    »Sandra hat uns vorgestern angerufen. Sie hatte die Nummer vom Pfannkuchenhaus im Internet gefunden«, erzählt die Mutter, als sie kurze Zeit später im Auto sitzen. »Sie hat gesagt, keine Polizei, ich soll in die Kirche kommen. Dort würde ich dich bei der Harfe finden. Aber dann kamst du nicht, also habe ich die Töne auf die Suche geschickt.«
    »Er hat ein Video von mir gemacht. Er hat gesagt, er schickt es euch und alle werden es wissen. Dann ist das Pfannkuchenhaus kaputt. Und wenn er es jetzt veröffentlicht? Er hat bestimmt schon gemerkt, dass ich weg bin.« Lara ist ganz schlecht vor Angst.
    »Das ist ja Erpressung! Und darum bist du bei ihm geblieben?« Der Vater kann es nicht fassen. »Es wäre sicher sehr peinlich, aber glaub mir, die Leute werden weiter meine Pfannkuchen essen, solange sie ihnen schmecken. Daran ändert auch ein noch so schlimmes Video nichts.«
    »Wir sind Sandra so dankbar, dass sie uns angerufen hat.« Die Mutter legt den Arm um Lara und drückt sie ganz fest an sich. Sie reden nicht viel auf der Fahrt zurück nach Hause. Sie sind froh, dass sie zusammen sind.
    Zunächst fahren sie zu einer Freundin der Mutter, einer Ärztin, die Laras blaues Auge und die anderen Wunden behandelt und sie gründlich untersucht. Lara ist das sehr unangenehm, aber die Frau stellt zum Glück nicht allzu viele Fragen. Lara ahnt, dass
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