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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Mädchen gab der Frau einen schnellen Kuss und trug den Korb zur Eingangstür.
    Der Wagen fuhr ab, aber meine Mutter starrte immer noch unverwandt nach vorne.
    »Wo wäschst du deine Sachen?«
    Ich schaute sie an. Sie klang seltsam, als hätte sie eine Frage gestellt, auf die sie die Antwort gar nicht wissen wollte.
    »Hier«, sagte ich. »Im Keller gibt es Waschmaschinen.« Dabei beobachtete ich, wie das Mädchen mit dem Korb die Stufen zum Eingang hinaufging. »Manche Leute machen es eben zu Hause, weil ... ich weiß nicht ... weil sie nach Hause fahren.«
    »Nach Hause«, wiederholte sie.
    Ich lehnte den Kopf an das kalte Glas der Beifahrertür und starrte beinahe sehnsüchtig die sieben Stockwerke zu dem dunklen Fenster meines Zimmers hinauf. Ich wusste, dass ihre Trauer echt war. Aber ich war müde, müde im Allgemeinen und ganz besonders müde, zu hören, wie wenig ihr all die Veränderungen gefielen, die sie sich selbst eingebrockt hatte. Ihre Probleme waren nicht meine Probleme. In diesem konkreten Moment bestand mein Problem darin, dass ich in sechs Tagen eine Prüfung in Organischer Chemie hatte und wahrscheinlich auch dann durchfallen würde, wenn ich bis dahin jede freie Minute büffelte.
    »Ich geh jetzt lieber«, sagte ich.
    »Bleib noch ein bisschen, Liebes. Okay? Ich bekomme dich kaum noch zu sehen.«
    »Ich muss lernen.«
    Sie tätschelte mein Knie. »Nur noch ein paar Minuten. Um mit deiner Mutter zu reden, die gerade eine Stunde gefahren ist, um dich zu sehen.«
    »Ich muss um sechs im Gebäude sein, weil ich heute Abend Dienst habe.«
    Ihr Mund wurde schmal. »Dieser Job scheint viel Zeit zu kosten«, sagte sie.
    Eigentlich nicht. Vielleicht sollte es so sein, aber im Grunde machte ich den Job gar nicht wirklich. Zu Beginn des Jahres hatte ich die besten Absichten gehabt, eine vorbildliche Wohnheimberaterin zu sein. Ich hängte ein Schild mit »RA« - für Resident Advisor - an meine Tür und dazu ein Whiteboard mit Filzmarkern. Aber jetzt war das erste Semester fast vorbei, und ich kannte die Namen der meisten Mädchen von meinem Stockwerk immer noch nicht. Ich hatte zu viel zu tun. Zusätzlich zu Literatur und Spanisch hatte ich fünf Wochenstunden Organische Chemie und weitere fünf Stunden Psychologie belegt. Jeden Morgen wachte ich mit einem Gefühl drohenden Unheils auf, mit der nie endenden Sorge, nicht genug zu lernen.
    »Das ist nicht schlimm«, log ich. Besonders in diesem Jahr hasste ich das Wohnheim. Ich fühlte mich zehn Jahre älter als alle anderen. »Und diese Art Job macht sich gut, wenn man sich um einen Studienplatz in Medizin bewirbt. Im Ernst. Man empfiehlt uns, solche Sachen zu machen.«
    »Ich hoffe, du findest genug Zeit zum Lernen.«
    Ich hörte die Worte und fühlte, wie mein Körper reagierte: mit zusammengebissenen Zähnen und beschleunigtem Atem. »Mom. Ich lerne. Du hast keine Ahnung, wie viel ich lerne.«
    »Ich glaube schon, dass ich eine Ahnung habe, Veronica. Ich war auch auf dem College.«
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die Zähne und schaute weg. Der Vergleich war zu lächerlich, um eine Antwort zu verdienen. Sie hatte Pädagogik als Hauptfach gehabt.
    »Ich ...« Sie drehte sich zu mir um und seufzte. »Ich nehme an, du verbringst viel Zeit mit Tom.«
    »Tim.«
    »Stimmt. Entschuldige.«
    »Zu deiner Information«, sagte ich jetzt zu ihr, »ich verbringe nicht meine ganze Zeit mit Tim. Vielmehr verbringe ich kaum Zeit mit Tim. Ich arbeite und lerne. Ständig.«
    »Er ist viel älter als du, oder? Geht er nicht mehr aufs College?«
    »Er ist vierundzwanzig und geht auf die Graduate School.«
    »Du bist erst zwanzig«, sagte sie, als ob ich das nicht selbst wüsste. »Du solltest dich im Moment auf dein Studium konzentrieren.« Sie schaute weg und schnalzte mit der Zunge. »Und vierundzwanzig ist deutlich älter.«
    Aber er ist das Beste in meinem Leben, dachte ich und schaute sie aus schmalen Augen an. »Schlägst du vor, dass ich mich unter den Jüngeren umschauen soll?«
    Sie schloss die Augen und sah so unglücklich aus, dass ich mich mies fühlte.
    »Ich muss dir etwas sagen.«
    Ich sah sie an.
    »Liebes, du wirkst feindselig. Bist du wütend auf mich?«
    »Nein«, antwortete ich, weil Ja zu sagen mehr Zeit gekostet hätte.
    Sie straffte ihre Schultern. »Ich weiß, dass dir das vielleicht unangenehm ist, aber mir ist es wichtig, dass du etwas verstehst. Was auch immer dir dein Vater erzählt hat, ich bin in meiner Ehe ... technisch gesehen nie untreu
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