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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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wir da, ohne zu reden, und hörten dem Motor zu, der im Leerlauf war. Drei Mädchen gingen Arm in Arm über den Rasen. Sie kamen aus der Richtung des Speisesaals, die Gesichter geduckt wegen des Windes. Ich glaubte, eine von ihnen von meinem Stockwerk zu kennen, war mir aber nicht sicher.
    »Ich gehe jetzt lieber rein«, schlug ich vor.
    »Sicher«, erwiderte sie. »Du hast ja heute Dienst.«
    Ich machte die Tür auf, aber dann fiel ihre Hand auf den Ärmel meines Mantels, und sie hielt mich fest, bis ich mich wieder zu ihr umdrehte.
    »Vergiss die Reste von dem Hühnchen nicht.« Sie zeigte mit einer Kopfbewegung auf die Schachtel mit Chicken Satay. »Aber wenn du keinen Kühlschrank hast, um das aufzubewahren, Liebes, wirf es lieber weg. Du willst doch bestimmt keine Lebensmittelvergiftung bekommen.«
    »Geht klar.« Ich stieg mit der Schachtel aus.
    Sie packte mich am Ärmel. Ich drehte mich um.
    »Liebes.« Ihr Gesicht war blass in der Innenbeleuchtung. »Ich will nur, dass du weißt ...« Sie ließ ihre Hand auf dem Ärmel liegen und hielt mich fest. »Ich weiß, dass ich ein bisschen ... dass ich im Moment vielleicht ein bisschen daneben bin. Aber ich liebe dich immer noch so sehr. Ich bin immer noch für dich da.«
    Einen Moment lang, als ihr Blick so unverwandt und voller Liebe und Sorge auf mir ruhte, war es ein Gefühl wie früher, als sie einfach nur meine Mutter gewesen war. Aber selbst jetzt, als sie lächelte und diese liebevollen Worte sagte, merkte ich, dass etwas nicht in Ordnung oder wenigstens anders war. Meine Augen wanderten über ihr Gesicht. Sie hatte aufgehört, zum Friseur zu gehen, ihr Haar mit Strähnchen aufzuhellen oder was auch immer sie vorher damit gemacht hatte. Selbst im Halbdunkel des Wagens konnte ich graue Strähnen erkennen. Ich sagte nichts. Ich wollte sie nicht unterbrechen. Ich wollte glauben, dass das, was sie sagte, wahr war.
    »Und vielleicht verstehe ich nicht, wie schwer diese Prüfung ist, aber ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen. Ich wünsche mir, dass du gut abschneidest.« Lächelnd drückte sie meinen Arm. »Du hast noch das ganze Leben vor dir. Ich möchte bloß, dass du die richtigen Entscheidungen triffst. Gerade jetzt ist es für dich so wichtig, die richtigen Entscheidungen zu treffen.«
    Ich nickte, den Blick auf sie gerichtet. Wenigstens ihre Augen hatten sich nicht verändert, deshalb achtete ich darauf, dass sie das Letzte waren, was ich sah, bevor ich die Tür zumachte. Als ich zum Eingang des Wohnheims ging, konnte ich immer noch das Motorengeräusch ihres Wagens hören. Wenn sie mich nach Anbruch der Dunkelheit absetzte, wartete sie immer mit eingeschalteten Scheinwerfern, bis ich wohlbehalten im Haus war.

Kapitel 2
    Ich hatte nicht immer Ärztin werden wollen. Ich wusste nur schon sehr lange, dass ich nicht Anwältin werden wollte. Elise ist sechs Jahre älter als ich, deshalb hatte ich, als wir heranwuchsen, nie eine Konkurrentin in ihr gesehen; man könnte eher sagen, dass sie mich beeindruckte. Sie beeindruckte eine Menge Leute. Als sie auf der Highschool war, gewann sie zwei Jahre hintereinander die Landesmeisterschaft in Rhetorik und Debattieren. Sie war Klassensprecherin und hielt als Jahrgangsbeste die Abschiedsrede bei der Abschlussfeier. In dem Sommer, bevor sie aufs College ging, besuchte sie eine Sitzung im Rathaus und stritt mit dem Bürgermeister über Mülltrennung. Ihre Argumente schloss sie mit einer so leidenschaftlichen Rede ab, dass sie es in die lokale Nachrichtensendung schaffte.
    Meinen Vater beeindruckte sie nicht. Aber sie war mehr als imstande, sich ihm gegenüber zu behaupten, was mich tief beeindruckte. Wenn er laut wurde, kümmerte es sie nicht. Manchmal wurde auch sie laut. Sie stritten über alles: über ihre Freunde, über Tibet, über den Sinn der Erhöhung der Grundsteuer und darüber, ob mein Vater so viel Butter essen sollte. Beide waren schlagfertig; keiner von ihnen brauchte lange, um ein soeben gehörtes Argument zu widerlegen. Beim Abendbrot saßen meine Mutter und mein Vater einander an den Kopfenden des Tisches gegenüber und je eine Tochter an jeder Seite. Wenn wir diese Sitzordnung jemals geändert hätten und Elise meinem Vater gegenübergesessen hätte, wären meine Mutter und ich wie Zuschauer bei einem Tennisspiel gewesen, die schweigend beobachteten, wie die Bälle hin- und herflogen.
    Manchmal schien es ihn zu stören, dass er nicht in der Lage war, Elise in irgendeiner Weise einzuschüchtern. Aber
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