Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Mutter und ich sahen uns ähnlich. Wir hatten dasselbe dunkle, lockige Haar, dieselben braunen Augen und dieselben langen Nasen. Aber wir waren nicht ein und dieselbe Person. Den ganzen Sommer über konnte ich fühlen, wie ich mich von ihr loslöste - wie ein Schwimmer, der versucht, vor einem Ertrinkenden zu flüchten, der sich an ihn klammern will.
    Eine Woche nachdem ich wieder ins Wohnheim gezogen war, um mein drittes Jahr auf dem College zu beginnen, verkaufte sie das Haus. Der Käufer, der offensichtlich die seltene Gabe besaß, über einen verwilderten Garten und Plastikhüllen vor Zimmern hinwegzusehen, wollte in dreißig Tagen einziehen. Meine Mutter verhielt sich, als hätte sie in der Lotterie gewonnen. Sie freue sich auf den Umzug in eine neue Wohnung, verkündete sie. Es sei so schön, alle Arbeiten am Haus anderen überlassen zu können und so viel weniger saubermachen zu müssen.
    Heute ist mir klar, dass ich mich weigerte, etwas zu sehen, dass ich bewusst die Augen verschloss. Ich hätte ihr mehr Fragen stellen sollen. Ich hätte sie fragen können, wie ihr wirklich zumute war. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass ich jung war. Und sie sagte wiederholt, dass es ihr gut gehe, sehr, sehr gut.
    Einige Monate später, als es allmählich wieder Winter wurde, wirkte sie seltsam. Ich war heimgefahren, um Thanksgiving bei ihr zu verbringen, und die meisten ihrer Sachen standen immer noch in Kartons in der neuen Wohnung herum - sie habe keine Zeit zum Auspacken gehabt, rechtfertigte sie sich. Für den Fall, dass Bowzer ein Malheur passierte, während sie auf der Arbeit war, hatte sie Zeitungen großflächig über den Teppichboden ausgelegt. Und dann fuhr sie eines Abends mit mir nach Lawrence, um mich zum Essen auszuführen, und auf dem Heimweg vom Restaurant wäre uns beinahe das Benzin ausgegangen: Als es ihr endlich auffiel, stand die Nadel schon auf Leer, und wir rollten im Leerlauf an eine Tankstelle. Es waren zwar nur Kleinigkeiten, aber zusammengenommen wirkten sie beunruhigend. Sie schienen Teil eines größeren Problems zu sein, ein Zeichen dafür, dass ihr gesunder Menschenverstand sie im Stich ließ.
    Und schließlich fing sie - gegen den Rat vermutlich jedes Menschen, den sie hätte fragen können - an, über meinen Vater zu schimpfen. Fast ein Jahr war seit dem Tag des schlafenden Dachdeckers vergangen. Aber die Scheidung - oder, genauer gesagt, die Einigung - war noch längst nicht über die Bühne. Sie glaubte, dass er Geld vor ihr versteckte. Ihre Anwälte fochten es immer noch aus.
    »Elise musste nicht arbeiten, als sie auf die Uni ging. Und sie hat nicht in ihrem Heimatstaat studiert. Es ist lächerlich. Er könnte es sich leisten, dir mehr zu helfen, wenn er nur ...«
    »Mom.« Ich drehte mich schnell zu ihr um. »Lass das! Zieh mich da nicht rein.«
    Sie lehnte sich an das Seitenfenster, die Finger auf ihren Mund gepresst. Wir saßen in ihrem Minivan, der in der kreisförmigen Auffahrt vor meinem Wohnheim stand. Gerade waren die Flutlichter am Haupteingang automatisch angegangen, abgestimmt auf die Dämmerung, die jetzt um kurz nach sechs Uhr einsetzte. Der Tag war sonnig und wolkenlos gewesen - und für Anfang Dezember warm. Goldene Blätter lagen vertrocknet und brüchig unter den Scheibenwischern. Sie war nach Lawrence gefahren, um mit mir in einem Thai-Lokal zu essen; auf der Bodenmatte zwischen meinen Füßen stand eine Schachtel mit übrig gebliebenem Chicken Satay.
    »Ist nicht weiter tragisch«, wiegelte ich ab. »Viele Studenten arbeiten. Die meisten, nehme ich an.«
    Sie beugte sich vor, legte ihr Kinn aufs Lenkrad und starrte durch die teilweise beschlagene Windschutzscheibe. Ihre schwarze Strickmütze war ein bisschen zu groß; der Rand rutschte ihr bis knapp über die Augen. Sie sah verstört aus und niedlich - wie ein Kind, das für eine Grußkarte zurechtgemacht worden ist.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich schließlich. »Ich sollte dich da nicht mit reinziehen. Du hast recht.«
    Ein Wohnmobil parkte vor uns ein. Auf der Fahrerseite stieg eine stämmige Frau in einer Kansas-City-Chiefs-Jacke aus und ging in Richtung Kofferraum zu einem Mädchen in Jogginghose und T-Shirt, das auf der anderen Seite ausgestiegen war. Die Frau öffnete die Hecktür und half dem Mädchen, einen Korb mit zusammengelegter Wäsche herauszunehmen. Eine Weile machten sie sich an dem Korb zu schaffen und nahmen etwas aus dem Wagen, um es über die Kleidung zu legen. Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher