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Weil du mich siehst

Weil du mich siehst

Titel: Weil du mich siehst
Autoren: Manuela Inusa
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jemand, der wahrscheinlich schon länger mit Connie in einer Gruppe war.
     
    »Nicht unterbrechen!«, ermahnte Johannes.
     
    »Ich war sehr lange wütend«, sprach Connie weiter, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Aber dann habe ich versucht, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ich weiß jetzt, dass meine Angela hier auf Erden war, um mich zu erfreuen, um mir Liebe zu zeigen und Glück. Das war ihre Bestimmung. Sie war ein Engel, der seine Aufgabe erfüllt hat und zurückkehren musste.«
     
    »Wie alt war Angela, als sie starb?«, fragte Paula aufgewühlt.
     
    »Neunzehn Jahre alt.«
     
    »Neunzehn! Du hattest neunzehn Jahre mit deiner Tochter und du willst mir sagen, dass das dasselbe sei, als wenn ein Kleinkind stirbt? Du willst mir wirklich weismachen, dass ein Baby, das von einem gerissen wird, in so kurzer Zeit auf Erden seine Aufgabe erfüllt hat? Willst du mir sagen, dass das so gedacht war? War das so vorgesehen? War das Bestimmung?«
     
    Jetzt brach Paula zusammen. Sie weinte und sackte schluchzend vom Stuhl.
     
    Sofort war Finn auf seinen Knien und an ihrer Seite.
     
    Paula fühlte mehrere Arme um sich, die ihr wieder aufhalfen, und hörte Stimmen beruhigend auf sie einreden.
     
    »Sie hat recht«, sagte Dennis. »Das ist Schwachsinn! Engel, Bestimmung … das ist doch alles Bullshit! Ich glaube weder an das eine noch an das andere. Wenn einem der wichtigste Mensch genommen wird, dann ist das Scheiße, einfach nur Scheiße. Es ist doch vergebens, einen Sinn darin sehen zu wollen oder nach einer tieferen Bedeutung zu suchen.« Er war jetzt richtig aufgebracht.
     
    Finn verstand Dennis. Manchmal fühlte er wie er. Manchmal aber baute er auf den Gedanken an eine bessere Welt, in der Barne jetzt war. Und dass sein kleiner Bruder sein Leben bereichert hatte, war gar keine Frage.
     
    »Dennis, wir wollten doch dem anderen seinen Glauben lassen, nicht verurteilen. Toleranz ist unser höchstes Gebot«, erinnerte ihn Johannes.
     
    »Es tut mir leid«, sagte Dennis gleich.
     
    »Mir auch«, stimmte Paula ein. Sie weinte noch immer. »Bitte verzeih mir, Connie.«
     
    »Natürlich verzeihe ich euch«, sagte Connie gutmütig. »Ich verstehe euch gut.«
     
    Paula bezweifelte das. Wer die Dinge einfach so hinnehmen konnte, verstand sie nicht. Überhaupt nicht.
     
    »Möchtest du noch etwas sagen?«, fragte Johannes Finn.
     
    Finn, der sich wieder gesetzt hatte, sah Johannes jetzt an und sprach durch ihn: »Ja. Wenn es wirklich so sein sollte, dass mein Bruder ein Engel war, der auf Erden weilte, um etwas zu bewirken, dann hat er es erreicht. Er hat meinem Vater gezeigt, was es heißt, den perfekten Sohn zu haben. Da kann kein anderer je heranreichen, dagegen bin ich ein Sandkorn in der Wüste. Aber ich bin nicht verbittert, ich bin dankbar, ihn gekannt zu haben.«
     
    Stille. Paula fühlte mit Finn. Auch wenn sie seine Stimme nicht hören konnte, so konnte sie doch seinen Schmerz erkennen. Und sie spürte, dass er in seinen zwanzig Jahren bereits ein ganzes Leben gelebt hatte, den Schmerz eines ganzen Lebens erfahren hatte.
     
    Jeder machte sich seine eigenen Gedanken, dachte an sein eigenes Leid, an den Menschen, den er verloren hatte.
     
    »Ich denke, es ist genug für heute«, sagte Johannes irgendwann. »Gestern war mein Geburtstag, wie einige von euch vielleicht wissen. Ich habe Kuchen mitgebracht.«
     
    Bei Kuchen sagte keiner nein. Kuchen war Balsam für die Seele. Schon bald saßen sie schon viel lockerer auf ihren Stühlen, einige standen auch, jeder hielt einen Teller mit Kuchen in der Hand. Paula wusste nicht, dass es Nusskuchen war, bis sie den ersten Bissen nahm.
     
    Sie dachte an den letzten Kuchen, den sie gebacken hatte. Es war im Juni vor zwei Jahren gewesen, für Damians Geburtstag. Sie hatte eine 4 aus grünem Zuckerguss darauf geschrieben, Grün war zu der Zeit seine Lieblingsfarbe. Seine derzeitige Lieblingsfarbe kannte sie gar nicht. Ihre eigene war wohl Schwarz, denn alles um sie herum war es. Nicht nur, weil sie nichts als Dunkelheit mehr wahrnahm, sondern auch, weil seit dem Unfall alles nur noch schwarz und düster war in ihrer Welt. Es gab keine Fröhlichkeit mehr, nichts, das farbenfroh hätte sein können.
     
    Finn hatte sein Stück Kuchen aufgegessen, ohne etwas zu schmecken. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Sie stand an den Tisch gelehnt da und stocherte in ihrem Kuchen herum, dann stellte sie den Teller ab und strich sich eine Haarsträhne
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