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Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Titel: Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Autoren: Hildegund Keul
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der Öffentlichkeit. Er baut sogar den Zweiten Tempel in Jerusalem so tiefgreifend um, dass dieser »Herodianischer Tempel« genannt wird. Dennoch findet Herodes im jüdischen Volk kaum Anerkennung. Er lebt in einer politischen Kultur des Misstrauens und trägt selbst zu ihr bei. Hier ist jederzeit mit tödlichem Gift oder einem scharfen Messer zu rechnen. Sein Vater ist getötet worden, er selbst lässt mehrere eigene Söhne hinrichten, die angeblich Hochverrat planten. Weil er im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht und eine politische Machtposition innehat, ist er in besonderer Weise verwundbar. Er weiß dies und agiert entsprechend. Er versucht konsequent, sich vor Verwundungen zu schützen, um seine Machtposition zu bewahren und die herodianische Dynastie zu festigen.
    Vor diesem historischen Hintergrund schreibt Matthäus über Herodes. Der Evangelist erzählt, wie bei dem König alle Alarmglocken schrillen, als Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem kommen und fragen: »Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.« (Mt 2,2) Offensichtlich hat Herodes gerade kein Neugeborenes in seinem Palast. »Als König Herodesdas hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.« (Mt 2,3) Wenn der Tyrann erschrickt, ist auch sein Volk alarmiert. Niemand weiß, wie er auf seinen Schrecken reagiert und welche Köpfe rollen werden. Politiker agieren mit Machtstrategien. Es muss da eine Macht geben, die Herodes noch nicht im Blick hat, die quasi aus dem Nichts auftritt und die auf seiner Rechnung fehlt. Das bringt eine bedrohliche Unruhe mit sich.
    Herodes setzt seine Machtmittel ein, um herauszubekommen, wo dieser Unbekannte ist und welche Bedeutung er hat. Dabei ist auffällig, dass er bereits mehr weiß als die Sterndeuter. Diese Menschen, die einer anderen Religion angehören, sprechen vom »König der Juden«. Herodes identifiziert diesen direkt als »Messias«. Er ruft die Hohenpriester und Schriftgelehrten zu Hilfe. Sie sind ihm zu Diensten und verweisen kundig auf Betlehem, »keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda«. Das ist ein entscheidender Punkt. Herodes weiß Bescheid und kann sich entscheiden. Er kann den Messias verehren oder verfolgen. Er ist selbst Jude, für ihn ist der Messias eine jüdische Heilsfigur. Wird er sich gegen ihn stellen?
    Matthäus lässt keinen Zweifel daran, wie Herodes sich positioniert. Der König greift zu einem Mittel, das noch heute in vielen Staaten angewandt wird und in Diktaturen besonders beliebt ist: zum Staatstrojaner. Den gutwilligen Besuchern gegenüber tut er sehr freundlich, will sie aber zu seinen eigenen Zwecken missbrauchen. Sie dürfen das nicht wissen, sonst geht das politische Kalkül nicht auf. »Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ichhingehe und ihm huldige.« (Mt 2,8) Das ist eine glatte Lüge. Herodes ist intrigant, er verwendet List und Tücke. Denn er weiß, dass er auf die Auskunft der Sterndeuter angewiesen ist. Er fragt sie ebenso gründlich wie hinterlistig aus. Denn er kann nicht einfach selbst nach Betlehem gehen oder seine eigenen Leute schicken, obwohl es um eine so wichtige Sache geht. Das liegt am Wesen der Staatstrojaner. Sie müssen in den Augen derer, die bespitzelt werden sollen, vertrauenswürdig sein. Auch die »Informellen Mitarbeiter« der DDR haben nach diesem Prinzip funktioniert. Es mussten gerade die Verwandten oder Menschen aus dem engen Freundeskreis sein, die das Bespitzeln übernahmen – Anderen gegenüber hätten die Bespitzelten nicht offen und ehrlich ihre Meinung gesagt. Nur wenn sie kein Misstrauen wecken, kommen Trojaner an die entscheidende Information heran.
    Auf diesem Weg kommt es dazu, dass Staatstrojaner diejenigen verwunden, die zu schützen sie vorgeben. Genau so ist es bei Herodes. Er und seine Soldaten sind alles andere als vertrauenswürdig. Die in der Geschichte zunächst etwas naiv wirkenden Sterndeuter, die dem Herrscher bedenkenlos auf den Leim gehen, sind es sehr wohl. Daher lassen sie sich zunächst gut einpassen in das politische Kalkül des Machthabers. Sie werden als Staatstrojaner nach Betlehem geschickt, ohne dass sie dies wissen.
    Aber es steckt noch mehr hinter dem verzweifelten Versuch, die Sterndeuter zu missbrauchen. Herodes lebt in einer Ordnung der Dinge, die sich an Macht und Ansehen,
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