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Wehe Dem, Der Boeses Tut

Wehe Dem, Der Boeses Tut

Titel: Wehe Dem, Der Boeses Tut
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behagliches Feuer brannte.
    Kein finsterer Unbekannter lauerte in den Schatten.
    Und auch ihre Tochter wartete nicht auf sie.
    Natürlich nicht – ihre Einbildung, ihr Verfolgungswahn hielten sie nur wieder einmal zum Narren. Sie war drauf und dran, den Verstand zu verlieren. Als sie flüchtig ihr verschwommenes Bild im Spiegel sah, verzog sie das Gesicht. Zerzaustes, nasses Haar, ein magerer Körper in einem zu großen Bademantel, kein Make-up, die ehemals schönen Gesichtszüge verhärmt von Schmerz und Schuldgefühlen. Bei dem Anblick traten ihr Tränen in die Augen. Sie verlor langsam, aber sicher den Verstand.
    Kat wischte sich mit dem Handrücken die Nase und schalt sich selbst eine Närrin. Ausgerechnet sie, eine Frau, die immer gewusst hatte, was sie wollte, und es sich genommen hatte. Die sich mit ihrer Schönheit und ihrem Verstand den reichsten Mann in Portland geangelt hatte. Sie, die noch vor kurzer Zeit alles gehabt hatte, was eine Frau sich wünschen konnte. Jetzt war von all dem nichts mehr geblieben als Scherben bitterer Erinnerungen, schlaflose Nächte und endlose Stunden, in denen sie den Schmerz mit rezeptpflichtigen Medikamenten und Alkohol zu betäuben suchte.
    Sie band den Gürtel ihres Bademantels straffer um ihre schmale Taille. Da spürte sie einen Luftzug, einen leisen Hauch, der ihren Nacken streifte. Kat sah sich um und bemerkte, dass sich die Vorhänge an den Balkontüren bewegten. Aber sie hatte die Fenstertüren doch geschlossen, bevor sie unter die Dusche ging … oder? Ihren Drink hatte sie auf dem kleinen Balkon genommen, hatte über die Stadt hinweggeschaut, an Selbstmord gedacht und diesen Schritt dann als zu dramatisch, zu beängstigend, zu erniedrigend verworfen.
    Warum waren die Türen jetzt geöffnet?
    Hatte sie sie nicht verriegelt, nachdem sie ins Zimmer zurückgekehrt war? Doch, ganz gewiss … Sie hatte abgeschlossen, noch einen letzten Schluck von ihrem Drink genommen und das Glas dann auf dem Nachttisch abgestellt, bevor sie sich auszog und ins Bad wankte. So war es doch gewesen …?
    Oder brachte sie alles durcheinander?
    Weshalb konnte sie sich nicht erinnern?
    Warum war alles so verschwommen?
    Vielleicht hatte sie sich nur eingebildet, sie habe die Tür abgeschlossen.
    Vielleicht hatte sie, als sie unter der Dusche stand, wirklich jemanden in diesen Zimmern gehört.
    Ihre Kehle wurde trocken.
    Wieder spürte sie, dass jemand da war.
    Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.
    Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus.
    »Mama.«
    Eine dünne, verängstigte Stimme.
    Kat blieb beinahe das Herz stehen. »London? Baby?« Die Stimme kam vom Balkon, drang durch den Türspalt ins Zimmer. Das war doch verrückt. Sie sollte den Sicherheitsdienst des Hotels rufen. Die Polizei.
    Wie schon einmal?
    Damit dich alle ansehen, als hättest du den Verstand verloren?
    Damit sie bedeutungsvolle Blicke wechseln, wenn sie die Röhrchen auf dem Nachttisch bemerken?
    Damit sie dir raten, dich jemandem »anzuvertrauen«?
    Möchtest du das noch einmal durchmachen?
    Nein.
    Mit heftig pochendem Herzen tastete sie sich zur Balkontür, deren Vorhänge sich im kühlen Dezemberwind leicht blähten. Durch den hauchdünnen Stoff sah sie einen dunklen Schatten. Klein. Zitternd.
    London?
    Liebstes, heißgeliebtes Kind!
    Kat riss die Tür auf.
    Ein frostiger Windstoß schlug ihr entgegen.
    Eine Kakophonie aus Straßenlärm, Verkehrsgeräuschen, Musik und Stimmen scholl bis zum neunzehnten Stock herauf.
    Die zusammengekauerte Gestalt regte sich.
    »Oh, Schätzchen …«, flüsterte Kat, und plötzlich war ihre Kehle wie zugeschnürt.
    Drinnen ging das Licht aus.
    Die Gestalt wandte sich ihr zu, und trotz ihrer Benommenheit und des Halbdunkels über der Stadt erkannte sie die Züge: Es war nicht das Gesicht ihrer verschollenen Tochter, sondern das einer verräterischen, bösartigen, verschlagenen Person.
    »Du«, fauchte sie und wollte sich abwenden, schlug blindlings um sich in dem Versuch zu entkommen.
    Zu spät.
    Starke Finger packten ihre Schultern und mit der Kraft wilder Entschlossenheit stieß die Gestalt sie an die niedrige Balkonbrüstung. Kat schrie. Ihre Knie schrammten gegen die hundert Jahre alten Backsteine; verzweifelt suchte sie nach einem Halt, jedoch vergebens. Ihr Angreifer warf sich mit aller Macht gegen ihren Rücken, schleuderte sie nach vorn, dichter an den Abgrund und an die zerbröckelnde … »Nein! O Gott, nein!«, schrie Kat, als sie aus den Augenwinkeln eine behandschuhte
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