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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen
Autoren: Harald Walach
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so gut honoriert wird (und nur die Zeit!), dass es sinnlos wird darüber nachzudenken, wie er möglichst viele Einzelkontakte oder Verordnungen in dieser Zeit tätigt.
    Die Krankenkassen können dann all ihre Kontrolleure entlassen oder zu Gesundheitsberatern umschulen und sie so konstruktiv ins System einbringen. 135 Im Moment ist es so, dass wir das Ausgeben medizinischer Verordnungen honorieren. Daher wird eine Unmenge unnötiger Verordnungen getätigt, weil Ärzte ja schließlich irgendwie zu ihrem Geld kommen müssen. Es ist ein bisschen so (um ein Bild zu gebrauchen, das Dr. Ellis Huber benutzt, der in unserem Studiengang lehrt), als würde man einen Handwerker nicht dafür bezahlen, dass er eine intelligente Stromversorgung ins Haus legt, sondern für jedes Kabel und jede Steckdose einzeln. Das wird
natürlich dazu führen, dass der Handwerker an allen möglichen und unmöglichen Ecken Steckdosen anbringt und kilometerweise Kabel verlegt, auch dorthin, wo man sie nicht braucht. Er will ja sein Geld bekommen und möglichst viel verdienen. In dem Moment, wo ich mit dem Handwerker einen fairen Preis vereinbare, ihm sage, wo ich wie viele Steckdosen, Lichtanschlüsse und Schalter brauche, wird er mir eine kluge Lösung bieten, mit der alle zufrieden sind und die insgesamt kostengünstiger ist.
    Natürlich wird es immer auch Schlingel unter den Handwerkern geben, die extra ein paar Steckdosen und Schalter weniger anbringen, um Ausgaben zu sparen. Entsprechend könnte man auch befürchten, dass in einem solchen Modell Ärzte den Patienten wichtige und möglicherweise teurere Maßnahmen vorenthalten. Ich halte das für ein potenzielles, aber eher theoretisches Problem. Denn in dem Moment, in dem alle Beteiligten nicht mehr maßnahmenorientiert denken und die Zeit als die entscheidende Ressource erkannt wird, wird die Versuchung Geld zu horten, indem man an eigentlich notwendigen Maßnahmen spart, kaum mehr ins Gewicht fallen. Denn wenn einzig der Erfolg und die Zeit honoriert werden, dann ist der Weg zum Erfolg in der Hand des Arztes. Elemente der Erfolgsmessung müsste man vermutlich ins System aufnehmen. Ärzte, die dauerhaft therapeutisch erfolglos sind, etwa weil sie therapeutische Maßnahmen unterlassen oder unwirksame anwenden, werden auf Dauer auf einem freien Gesundheitsmarkt wenig Chancen haben. Außerdem sollte man nicht vergessen: Grundsätzlich sind Menschen, die sich zu therapeutischen Berufen hingezogen fühlen, ethische Menschen, die von Mitgefühl bestimmt sind. Ausnahmen wird es immer geben. Aber der Versuch, alle Ausnahmen und Eventualitäten durch Regelwerke in den Griff zu bekommen, führt zu unbeherrschbaren Systemen, genauso wie der Versuch, alle Risiken aus dem Leben zu verbannen, zum schleichenden Tod durch Langeweile führt.
    Unlängst erschien ein interessanter Bericht eines Journalisten, der das Problem illustriert. 136 Es handelt sich um das Rätsel von McAllen, einer Kleinstadt in Texas. Die Menschen dort verdienen
im Durchschnitt 10 000 Dollar im Jahr, sind also ziemlich arm. Es werden aber 13 000 Dollar pro Kopf an Gesundheitskosten erzeugt, also 3000 Dollar mehr, als die Leute verdienen. Das sind die höchsten Gesundheitsausgaben im ganzen Land (nur Miami hat mehr, ist aber auch reicher). Eine Kleinstadt in der Nähe, ganz ähnlich strukturiert wie McAllen – ähnliche Population, ähnliche Probleme –, El Paso, auch in Texas, verursacht nur einen Bruchteil der Kosten. Woran liegt das? Die Ärzte in McAllen handeln als Einzelkämpfer mit dem Ideal, möglichst viel Geld zu verdienen. Außerdem leiden sie an der typisch amerikanischen Angst vor Gerichtsprozessen und wollen sich daher lieber doppelt absichern. Das führt zu multiplen diagnostischen Prozeduren, oft gedoppelt und verdreifacht, weil jeder die gleiche Diagnose nochmals stellen will, den Befunden des Kollegen nicht traut und so die Kostenspirale nach oben treibt. Die Patienten, meist Arbeiter, oftmals arbeitslos, leiden natürlich an vielen funktionellen Störungen. Wer lange arbeitslos ist, wird leicht einmal depressiv. Wer depressiv ist, entwickelt schnell einmal das eine oder andere Symptom: Rückenschmerzen, Herzprobleme … Das muss abgeklärt werden. In McAllen gibt es mehr Herzkatheteruntersuchungen als in anderen Städten. Wenn man das medizinische Verhalten in McAllen mit dem Verhalten der Ärzte in den berühmten Mayo-Kliniken vergleicht, die zu den besten amerikanischen Kliniken gehören, dann kann man sehen, dass
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