Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
Vom Netzwerk:
»Sir James Macrae ruft Mr. Lent und Miss Grits in den Konferenzraum.«
    Diesmal kamen sie nicht zu spät. Sir James saß am Kopfende eines ovalen Tischs, umgeben von seinen verschiedenen Direktoren. Er hatte noch den Mantel an, sein Kopf hing herunter, die Ellenbogen waren auf den Tisch gestützt und die Hände im Nacken verschränkt. Seine Getreuen verharrten in mitfühlendem Respekt. Wenig später sah er auf, schüttelte sich kurz und lächelte freundlich.
    »Schön, dass Sie da sind«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich nicht eher Zeit für Sie hatte. Gibt so viele Kleinigkeiten, um die man sich bei so einer Arbeit kümmern muss. Schon zu Abend gegessen?«
    »Noch nicht.«
    »Schlecht. Essen muss der Mensch. Man kann [42] nur mit Hochdruck arbeiten, wenn man genug isst.«
    Simon und Miss Grits nahmen Platz, und dann erklärte Sir James seinen Plan. »Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen Mr. Lent vorstellen. Seinen Namen kennen Sie sicher schon, der eine oder andere von Ihnen vielleicht auch sein Werk. Also, ich habe ihn gerufen, damit er uns hilft, und hoffe, dass er mitmacht, wenn er unseren Plan kennt. Ich will einen Film über Hamlet machen. Die Idee finden Sie jetzt sicher nicht sehr originell – aber beim Film kommt es immer auf die Herangehensweise an. Ich will eine ganz neue Herangehensweise. Darum habe ich Mr. Lent zu uns gebeten. Ich möchte, dass er uns die Dialoge schreibt.«
    »Aber«, wandte Simon ein, »hat das Stück denn nicht schon Dialoge genug?«
    »Ah, Sie verstehen meine Herangehensweise nicht! Es gibt eine Menge Shakespeare-Produktionen in moderner Kleidung. Nun werden wir ihn in moderner Sprache produzieren. Wie kann man vom Publikum erwarten, dass es Shakespeare genießt, wenn es mit den Dialogen vorn und hinten nichts anfangen kann? Ich habe neulich mal in dem Stück gelesen, und nicht mal ich habe was begriffen. Da habe ich sofort gesagt: [43] ›Was das Publikum braucht, ist die Schönheit von Shakespeares Gedanken und Charakteren, aber übersetzt in die Umgangssprache.‹ Nun, und da war unser Mr. Lent hier natürlich der Mann, der sich mit seinem Namen dafür geradezu anbot. Die hochkarätigsten Kritiker haben Mr. Lents Dialogstil schon gelobt. Ich stelle mir das nun so vor, dass Miss Grits ihm als Beraterin zur Seite steht, was Fortgang der Handlung und Technik angeht, und beim Text hat Mr. Lent völlig freie Hand…«
    Der Vortrag dauerte eine Viertelstunde; dann nickten die Direktoren weise; Simon wurde in einen andern Raum geführt und bekam einen Vertrag zur Unterschrift vorgelegt, wonach er ein Pauschalhonorar von 50 Pfund die Woche sowie 250 Pfund Vorschuss bekommen sollte.
    »Sie sollten die Arbeitszeiten mit Miss Grits so vereinbaren, wie sie Ihnen am besten passen. Ich erwarte eine erste Fassung Ende der Woche. Und wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt was essen gehen. Essen muss der Mensch.«
    Leicht benommen taumelte Simon zur Kantine, wo zwei apathische Blondinen gerade Feierabend machten.
    »Wir machen hier seit vier Uhr morgens Dienst«, sagten sie, »und die da oben haben bis [44] aufs Nougat sowieso schon alles aufgegessen. Tut uns leid.«
    An einem Riegel Nougat lutschend, fand Simon sich in dem nun ausgestorbenen Studio wieder. Rechts und links und vor ihm ragten in beängstigender Vollständigkeit die Marmormauern des Filmrestaurants in die Höhe; gleich neben ihm stand eine Flasche Champagnerimitation, noch in ihrem Kübel mit dem inzwischen geschmolzenen Eis; über ihm dehnte sich die endlose Finsternis von Gebälk und Decke.
    »Das wirkliche Leben«, sagte Simon bei sich, »die Welt der Tat… der Puls des Lebens… Geld, Hunger… Realität. «
    Andernmorgens wurde er mit den Worten geweckt: »Zwei junge Damen warten auf Sie.«
    »Zwei?«
    Simon zog seinen Morgenmantel über und ging mit einem Glas Orangensaft ins Wohnzimmer. Miss Grits nickte freundlich.
    »Wir hatten ausgemacht, dass wir um zehn anfangen«, sagte sie. »Aber das ist eigentlich egal. Anfangs werde ich Sie nicht oft brauchen. Das ist Miss Dawkins, eine unserer Stenotypistinnen. Sir James dachte, Sie würden vielleicht eine brauchen. Miss Dawkins ist Ihnen also bis auf [45] weiteres zugeteilt. Er schickt Ihnen auch zwei Exemplare von Hamlet. Wenn Sie aus dem Bad kommen, lese ich Ihnen meine Notizen für unsere erste Fassung vor.«
    Aber das sollte nicht sein; noch ehe Simon sich angezogen hatte, war Miss Grits in einer dringenden Angelegenheit ins Studio zurückgerufen worden.
    »Ich rufe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher