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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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zwischendurch stürmisch und unsentimental mit Miss Grits ins Bett gegangen. Er aß unregelmäßig und die unwahrscheinlichsten Sachen, kutschierte in Sir James’ Wagen durch die Vorstädte und diktierte irgendwo in einem verlassenen Winkel zwischen Kulissen, die dafür gebaut schienen, den Zusammenbruch der Zivilisation zu überleben, auf und ab gehend der auf Requisiten kauernden Miss Dawkins. Er tat es Miss Grits gleich, indem er ab und an in eine todesähnliche Bewusstlosigkeit sank, um beim Erwachen erschrocken festzustellen, dass um ihn herum eine Straße, eine Wüste oder Fabrik entstanden war, während er schlief.
    Der Film machte derweil rapide Fortschritte, wuchs täglich um weitere Szenen, veränderte sich vor ihren Augen auf hundert unerwartete Weisen. Jede Konferenz brachte eine radikale [50] Änderung der Handlung. Miss Grits las mit präziser, immer gleicher Stimme die Früchte ihrer Arbeit vor. Sir James saß da, den Kopf in die Hände gestützt, wiegte sich sacht hin und her und machte hin und wieder einem leisen Stöhnen oder Wimmern Luft; um ihn herum saßen die Experten für Produktion, Regie, Besetzung, Drehbuch, Schnitt und Finanzen, strahlten und warteten begierig auf eine Gelegenheit, des großen Mannes Aufmerksamkeit mit irgendeiner treffenden Bemerkung auf sich zu lenken.
    »Also«, sagte Sir James dann, »ich finde, das können wir so machen. Irgendwelche Vorschläge, meine Herren?«
    Worauf eine Pause eintrat, bis die Experten, einer nach dem andern, schließlich ihre Beiträge abzuliefern begannen… »Ich habe mir gedacht, Sir, dass es vielleicht nicht gut ist, die Handlung nach Dänemark zu verlegen. Das Publikum hat wenig Sinn für Ausländisches. Könnten wir die Geschichte nicht in Schottland spielen lassen – da ließen sich ein paar Kilts und Clanversammlungen einbauen…«
    »Ein sehr vernünftiger Vorschlag. Notieren Sie sich das mal, Lent…«
    »Ich finde, wir sollten die Figur der Königin weglassen. Besser, sie ist schon tot, wenn die [51] Handlung einsetzt. Sie hält nur alles auf. Und das Publikum wird’s nicht gern haben, wenn er so über seine Mutter herzieht.«
    »Ja, notieren Sie sich das, Lent.«
    »Wie wär’s denn, Sir, wenn statt des Königs die Königin als Geist erscheint…«
    »Ja, notieren Sie sich das, Lent…«
    »Fänden Sie es nicht auch besser, Sir, wenn Ophelia Horatios Schwester wäre? Ich meine, das wäre doch pikanter, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ja, notieren Sie sich das…«
    »Ich finde, wir verlieren in den Schlussszenen das Wesentliche aus dem Auge. Immerhin ist das doch in allererster Linie eine Gespenstergeschichte…«
    Und so erreichte die anfänglich so simple Geschichte ungeahnte Ausmaße. In der zweiten Woche machte sich Sir James – wenn auch zugegeben erst nach langer Debatte – die Idee zu eigen, das Stück mit der Handlung von Macbeth zu verschmelzen. Simon war anfangs gegen diesen Vorschlag, aber die drei Hexen lockten dann doch zu sehr. Der Titel wurde in Die weiße Frau von Dunsinane abgeändert, und er und Miss Grits hatten eine Woche unvorstellbare Arbeit damit, das gesamte Textbuch umzuschreiben.
    [52] IV
    Das Ende kam plötzlich wie alles in dieser erstaunlichen Episode. Die dritte Konferenz fand in einem Hotel in New Forest statt, wo Sir James sich zufällig gerade aufhielt; die Experten waren stehenden Fußes per Eisenbahn, Auto und Motorrad angereist und waren müde und lustlos. Miss Grits las die neueste Textbuchfassung vor; das nahm eine Weile in Anspruch, denn es hatte jetzt das Stadium eines »weißen Skripts« erreicht, praktisch drehfertig. Sir James blieb länger als gewöhnlich in Gedanken versunken sitzen. Als er endlich den Kopf hob, sprach er nur ein einziges Wort:
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nein, so geht das nicht. Wir müssen die ganze Sache sausenlassen. Wir haben uns viel zu weit vom Original entfernt. Ich kann mir gar nicht erklären, warum Sie nun auch noch Julius Caesar und König Artus mit ins Spiel bringen müssen.«
    »Aber das waren Ihre eigenen Vorschläge auf der letzten Konferenz, Sir.«
    »So? Da kann man nichts machen. Ich muss wohl sehr müde und unaufmerksam gewesen sein… Außerdem gefallen mir die Dialoge nicht. [53] Da fehlt die ganze Poesie des Originals. Was das Publikum wünscht, ist Shakespeare, der ganze Shakespeare und nichts als Shakespeare. Das Textbuch, das Sie da verfasst haben, ist ja auf seine Art ganz nett – aber eben nicht Shakespeare. Ich will Ihnen sagen, was
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