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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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Sie an und sage Ihnen, wann ich frei bin«, sagte sie.
    Den ganzen Vormittag diktierte Simon Briefe an alle Leute, die ihm so in den Sinn kamen; alle begannen mit: »Entschuldige, dass ich diesen Brief diktiere, aber ich bin im Moment so beschäftigt, dass ich für Privatkorrespondenz kaum Zeit habe…« Miss Dawkins saß ehrerbietig vor ihrem Stenoblock. Er nannte ihr Sylvias Telefonnummer.
    »Könnten Sie mal diese Nummer anrufen und Miss Lennox einen Gruß von mir bestellen? Ich würde gern im »Espinoza« mit ihr zu Mittag essen. Und bestellen Sie dort für Viertel vor zwei einen Tisch für zwei Personen.«
    »Schatz«, sagte Sylvia, als sie sich trafen, »warum warst du denn gestern den ganzen Tag weg, und wer war heute früh diese Stimme am Telefon?«
    [46] »Ach, das war Miss Dawkins, meine Stenotypistin.«
    »Simon, was redest du da?«
    »Ach, weißt du, ich bin zum Film gegangen.«
    » Schatz. Gib mir eine Rolle!«
    »Also, um Besetzungen kümmere ich mich im Augenblick wenig – aber ich werde an dich denken.«
    »Menschenskind, hast du dich in zwei Tagen verändert!«
    »Und ob!«, antwortete Simon überaus selbstzufrieden. »O ja, das habe ich. Sieh mal, ich bin zum ersten Mal mit dem wirklichen Leben in Berührung gekommen. Die Romanschreiberei gebe ich auf. Das war sowieso nur dummes Zeug. Das geschriebene Wort ist tot – erst die Papyrusrolle, dann das gedruckte Buch, jetzt der Film. Der Künstler darf nicht mehr für sich allein arbeiten. Er ist Teil der Zeit, in der er lebt; er muss (wenn auch natürlich in ganz anderen Dimensionen, meine liebe Sylvia) allwöchentlich seine Lohntüte in Empfang nehmen wie der Proletarier. Lebensnahe Kunst erfordert das entsprechende soziale Umfeld. Kooperation… Koordination… der Herdentrieb der Gesellschaft auf ein einziges Ziel gelenkt…«
    In diesem Stil fuhr Simon noch eine Weile fort, [47] währenddessen er ein Mittagsmahl von Dickens’schen Dimensionen verzehrte, bis Sylvia mit kläglichem Stimmchen meinte: »Ich glaube, du hast dich in so eine grässliche Filmdiva verknallt.«
    »O Gott«, stöhnte Simon, »so geschmacklos kann doch nur eine Jungfrau sein.«
    Sie waren drauf und dran, mit einer ihrer alten endlosen Streitereien zu beginnen, als der Page die Meldung brachte, dass Miss Grits die Arbeit unverzüglich wiederaufzunehmen wünsche.
    » So heißt sie also«, sagte Sylvia.
    »Wenn du nur wüsstest, wie komisch du bist«, erwiderte Simon, während er die Rechnung mit seinen Initialen abzeichnete und den Tisch verließ, an dem Sylvia sich noch mit Handschuhen und Handtasche abmühte.
    Aber wie es so ging, wurde er Miss Grits’ Liebhaber, noch ehe die Woche um war. Es war ihre Idee. Sie schlug es ihm abends in seiner Wohnung vor, als sie gerade die Reinschrift der endgültigen Version ihrer ersten Fassung korrigierten.
    »Nein, wirklich!«, rief Simon entsetzt. »Nein, wirklich! Das wäre völlig unmöglich. Tut mir leid, aber…«
    »Wieso? Mögen Sie keine Frauen?«
    »Doch, aber…«
    [48] »Ach, komm schon«, sagte Miss Grits energisch. »Viel Zeit bleibt uns nicht fürs Amüsement…« Und als sie später das Manuskript in ihren Diplomatenkoffer packte, meinte sie: »Das müssen wir wiederholen, wenn wir Zeit haben. Außerdem lässt sich viel leichter mit einem Mann arbeiten, wenn man eine affaire mit ihm hat.«
    III
    Drei Wochen lang arbeiteten Simon und Miss Grits (im Stillen hieß sie für ihn trotz aller folgenden Intimitäten immer noch so) in ungetrübter Harmonie zusammen. Sein Leben lief in völlig neuen Bahnen. Er lag morgens nicht mehr im Bett und bereitete sich finster brütend auf den Tag vor; er sagte nicht mehr jeden Morgen: »Ich muss raus aufs Land und dieses Buch vollenden«, um sich dann doch allabendlich wieder zurück in dieselbe Stadtwohnung zu schleichen; er saß nicht mehr mit Sylvia beim Abendessen und stritt sich gleichgültig mit ihr; vorbei war es mit den lustlosen Aussprachen am Telefon. Stattdessen prägte unberechenbare Abwechslung seinen Alltag. Alle Augenblicke wurde er telefonisch zu Konferenzen gerufen, die dann meist nicht [49] stattfanden – mal nach Hampstead, mal in ein Studio, einmal nach Brighton. Lange Arbeitsstunden verbrachte er damit, in seinem Arbeitszimmer auf und ab zu gehen, während Miss Grits an der anderen Wand in die entgegengesetzte Richtung lief, beide diktierend, korrigierend, Szenen umstellend, und Miss Dawkins gehorsam zwischen ihnen saß. Gegessen wurde zu den unmöglichsten Zeiten und
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