Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Mund und kaut darauf herum wie ein ausgehungerter Flüchtling. Er rollt eine Scheibe Schinken zusammen und schiebt sie hinterher, dann würgt er noch ein gekochtes Ei hinunter. «Drei», sagt Smirke, «und die Sache geht klar.» Ned hustet kurz, hat irgendwas in die Luftröhre bekommen, dann schnippt er eine dritte Münze über den Tisch. Smirke erhebt sich. Richtet einen dicken Finger zwischen die Augen des Veranstalters und knurrt: «Kein Ärger in mei’m Haus, sonst reiß ich dir die Leber raus, ich schwör’s bei Gott.»
     
    Neunzehn Uhr dreißig. Ned steht an der Tür zum Zockerzimmer, ausstaffiert wie ein kleiner Lord. Von weitem, und im Schummerlicht des Korridors, könnte man ihn fast für einen anständigen Mitbürger halten. Aus der Nähe betrachtet, verpufft die Illusion. Zunächst einmal ist da sein Gesicht. Ganz egal, wie man es betrachtet, aus jedem Winkel, im Licht oder im Schatten, angespannt oder ausgeruht, es ist letzten Endes doch immer das Gesicht eines Klugscheißers. Das Gesicht des jungen Lümmels, der in der Schule die Stiefel auf den Tisch legt, alte Damen in Brand steckt und Tintenfässer austrinkt. Das Gesicht des ziellos bummelnden, herumlungernden Halbstarken, der den Mann am Obststand terrorisiert, Opium raucht, in Gin badet und die Welt zu seiner Pinkelrinne macht. Das Gesichteines Ganoven, der irgend etwas Unanständiges, ja Ordinäres in Gang setzt und jetzt vor der Tür des Zockerzimmers der «Wühlmaus» im Herzen Londons steht. Dazu kommt noch seine Kleidung. Die Nadelstreifenhosen und das taillierte Jackett sind ausgebeulte Alpträume jedes Schneiders, der Stehkragen ist so voller Flecken von Sherry, Brühe, Ketchup und Worcestershiresoße, daß er an die Haut einer brüllenden Kreatur aus dem Dschungel erinnert, und hängt außerdem schlaff herab wie ein nasses Handtuch. Die goldene Uhrkette? Poliertes Kupfer. Der Wulst in seiner Westentasche? Ein als Taschenuhr getarnter Stein. Die Strümpfe sind aus mehreren Wollsocken zusammengeflickt, und die Blume im Knopfloch ist ein Stück Buntpapier. Doch all das ist gar nichts gegen das Cape, weiße Sternchen auf zinnoberrotem Grund, das von den Schultern des Impresarios flattert wie ein ganzes Zigeunerlager.
    Nichtsdestotrotz gehen Neds Geschäfte recht flott. Vornehme Herren drängen sich zu zweit, zu dritt oder auch allein den schmalen Gang entlang, drücken ihm goldene Guineas und silberne Sovereigns in die Hand und treten dann durch die Tür ins Zockerzimmer ein. Ned legt diese Münzen in seiner Hosenbeutelbank an. Und grinst wie ein Großbürger. Von drinnen kommt der Lärm eines Gelages: Gläserklirren, Stühlequietschen, Har-hars und Ho-hos. Das Stichwort für Smirke. Er erscheint am hinteren Ende des Gangs, seine fleischige Hand balanciert ein Tablett mit Drinks, vor ihm huschen zwei Schankmädchen wie Schaum auf dem Wellenkamm eines schweren Brechers. «Jetzt schiebt schon eure Nuttenärsche da rein, und daß mir ja die Gläser immer voll sind, sonst reißen die mir noch die Deckenbalken raus, der Deibel verhüt’s!» brüllt er sie an. Die Mädchen kichern sich an Ned vorbei in den Raum, wo sie ein Schwall von Applaus, Buhrufen und lauten Pfiffen empfängt. Smirke bleibt an der Tür stehen.«Eins muß ich dir lassen, Ned – ganz schön trinkfreudige Herren haste da rangeschafft. Ein halbes Faß Scots-Whisky und dreiundfünfzig Pullen Wein ham die schon leergemacht.»
    Neds Grinsen ist aalglatt und sehr breit. «Wie versprochen, Smirke, oder? Überlaß es nur dem guten Neddy. Du wirst noch reich werden heute.»
    Von drinnen dröhnt die Stentorstimme eines Temperamentvulkans: «Zu trinken! Gottverdammt und verflucht sei die Jungfrau vor der Hure, wo bleiben die Getränke?» «Los, ex!» brüllt ein anderer. «Jaaaah!» Die Rufe wirken wie heiße Drähte, die man in Smirkes Rückgrat einführt. Er erschauert, reißt sich zusammen, verfällt in Zuckungen, seine Muskeln geraten in klonische Krämpfe, die Gläser zittern am Rand des Tabletts. Dann stößt er die Tür auf wie ein Soldat und bekommt die volle Kraft eines Schirokkos ins Gesicht, in dem sich Schweiß, Sperma, verschüttetes Bier und Urin mischen. Seine Augen sind klein wie Erbsen. «Bei Gott, Ned Rise, wenn diese Show kein Erfolg wird, dann   –»
    «Reißt du mir die Leber raus?»
    «Zum Frikassee», schreit er und taucht in das Tohuwabohu ein.
    Ned knallt die Tür zu und nimmt einen Schluck aus der Flasche. Ein verflucht anstrengender Tag war das. Erst der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher