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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik
Autoren: T.C. Boyle
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barfuß und wickelte sich ein Stück feines Kammgarn um Lenden und Oberkörper, das er dann eine Toga nannte. Er widmete sich völlig dem Sinnlichen.
    Schon nach fünf Jahren war Johnson der Ernährer von drei Frauen und elf Kindern – vierzehn Mündern   –, dazu kamen noch diverse Hunde, zahme Affen, Erdhörnchen und Sandskinks. Dennoch arbeitete er sich keineswegs tot– nein, er nutzte lieber seinen Ruf als Mann von Bildung. Mit einer Kalebasse voll Bier oder einer Kudulende kamen die Dorfbewohner zu ihm und baten dafür um ein paar gekritzelte Worte. Jeder im Dorf trug um den Hals oder am Handgelenk einen
saphi –
einen Lederbeutel von Brieftaschengröße. Diese
saphis
waren Behältnisse für Fetische und Talismane gegen allerlei Unheil: ein gepökelter Ringfinger galt als wirksamer Schutz vor dem Biß der Puffotter; ein Haarbüschel garantierte unversehrte Heimkehr aus dem Schlachtgetümmel, die Duftdrüse der Zibetkatze verhütete Lepra und die Himbeerseuche. Doch der stärkste Zauber war Logos. Das geschriebene Wort verlieh Weisheit, Potenz, Überfluß in Zeiten der Not. Es konnte ausgefallene Haare zurückbringen, Krebs heilen, Frauen betören und Heuschrecken töten. Johnson wurde sich rasch des Marktpotentials seiner Schreibkunst bewußt. Für ein paar flüchtig hingeworfene Knittelverse gab es drei Pfund Honig oder einen Monatsvorrat Korn. Oder er zitierte Pope und erkaufte sich damit ein Paar goldene Fußringe für seine jüngste Braut:
     
    Drei Pfiffe sein der Preis,
    Den zu bestechen, der kreischend spricht der Affenhorde Hohn:
    Und sein jene Trommel, die da mit dumpfem heroischem Ton
    Erstickt das schrille Clairon gar des Eselschreis.
     
    Sie war fünfzehn und bewies ihre Dankbarkeit sehr demonstrativ. Johnson machte es sich bequem und genoß, das Ganze war süß wie ein Märchen.
Wiedererobertes Paradies
, dachte er.
    Dann kam eines Nachmittags ein Kurier aus Pisania, der britischen Handelsniederlassung am Gambia. Er brachte einen Brief aus England, dessen Siegel das Wappen der Durfeys’ . (eine wiederkäuende Ziege) trug. England – die Clubs, die Theater, Covent Garden und die Pall Mall,der geschwungene Lauf der Themse, die Struktur des Lichtes am Spätnachmittag in der Bibliothek von Piltdown – all das strömte wieder auf ihn ein. Er riß den Umschlag auf.
     
    Piltdown, den 21
.
Mai 1795
     
    LIEBER JOHNSON:
    Falls Dich dieses Schreiben erreicht, so hoffe ich, daß Du es bei bester Gesundheit liest. Ich muß gestehen, daß die Nachricht von Deiner Flucht aus Goree uns alle mächtig gefreut hat. Ich habe die starke Vermutung, Du bist inzwischen wieder zum «Eingeborenen» geworden, neben Dir ein paar von diesen Sirenen mit dem Honig-Teint, von dem Du immer so geschwärmt hast, hab ich recht?
    Aber nun zum Geschäftlichen. Mit diesem Brief möchte ich Dir einen gewissen Mungo Park ans Herz legen, einen jungen Schotten, den wir beauftragt haben, ins Innere Deines Landes vorzudringen und den Verlauf des Niger zu bestimmen. Wenn du einverstanden bist, als Führer und Dolmetscher für Mr.   Park zu fungieren, nenne ihm Deinen Preis.
    In geographischer Leidenschaft,
     
    Sir Reginald Durfeys, Bart.
    Gründungsmitglied der Afrika-Gesellschaft
     
    Johnsons Preis waren die Gesammelten Werke Shakespeares, alle Bände im Quartformat, wie sie auf den Regalen in Sir Reginalds Bibliothek gestanden hatten. Er packte eine Reisetasche, gelangte zu Fuß nach Pisania, fand den Forschungsreisenden und setzte ein Abkommen über die Bedingungen für seine Dienste auf. Der Reisende war vierundzwanzig. Sein Haar hatte die Farbe von Weizenseide.Er war einen Meter zweiundachtzig groß und ging, als hätte man ihm einen Stock auf den Rücken geschnallt. Er ergriff Johnsons Hand mit seiner breiten, butterweichen Pranke. «Johnson», sagte er, «ich freue mich aufrichtig, deine Bekanntschaft zu machen.» Johnson war eins zweiundsechzig und wog fünfundneunzig Kilo. Sein Haar war ein Staubbesen, seine Füße waren nackt, im rechten Nasenflügel trug er eine lange goldene Nadel. «Die Freude ist ganz meinerseits», sagte er.
    Sie brachen zu Fuß auf. Flußaufwärts, in Frukabu, machte der Entdeckungsreisende halt, um ein Pferd zu erstehen. Der Besitzer war ein Mandingo-Salzhändler. «Wirklich ein Spottpreis», sagte er, «für so ein rassiges Füllen.» Sie fanden das Tier hinter einer Rutenhütte am anderen Ende des Dorfes angepflockt. Es stand inmitten einer Hühnerschar, knabberte Disteln und glotzte sie blöde
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