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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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Rippen.«
    »Ich muß wohl wieder mal für den Spott nicht sorgen!« Karen grinste matt zurück. Ihr war heute nicht nach Mutterwitz. Sie fühlte sich wie eine Mumie und war plötzlich unendlich müde.
    Paul umrahmte die Bratwürste mit einer breiten Spur Senf und bahnte ihnen einen Weg durch die Menschenmenge zu einem Tisch, an dem noch zwei Plätze frei waren. Am heutigen Samstag war der Markt überfüllt. Der Himmel war blau und die Luft warm, und an den Verkaufsständen dufteten grüne Halden aus frischen Kräutern und Salaten. Paul hatte dreißig Salat- und Kohlrabipflänzchen beim Biobauern gekauft und fest in Zeitungspapier einwickeln lassen, damit sie ihm bis morgen nicht vertrockneten. Morgen wollte er wieder in Klein-Roda sein. Fast hätte sie ihn überredet, noch ein paar Tage zu bleiben.
    »Elisabeth ist aus dem Krankenhaus«, sagte er. »Ich hab sie gestern abgeholt und nach Hause gebracht.«
    »Wie oft besuchst du sie denn, um Himmels willen?« Karen hatte das Gefühl, eifersüchtig sein zu müssen. Sie wäre auch gern das Objekt so umfassender Fürsorge.
    »Wer soll es sonst tun? Sebastian sitzt ein.«
    Paul, der Retter der Entrechteten. »Das unfallfreie Essen ist nicht jedem gegeben«, sagte sie in einem unerklärlichen Anfall schlechter Laune, als ihm der Senf aufs Jackett kleckerte.
    »Sie macht sich Vorwürfe. Sie gibt sich die Schuld an allem.«
    »Die Schuld! Natürlich.« Sie konnte das Wort nicht mehr hören.
    »Sie findet sich egoistisch. Sie hatte sich in ihre Trauer und ihren Wahn hineingesteigert und gar nicht mehr gemerkt, was mit Sebastian los war.«
    Karen wischte sich die Finger an der Serviette ab und seufzte. »Und dann ist sie ihm zu Hilfe geeilt. Indem sie ausgerechnet Panitz attackierte.«
    »Sie wollte ihm damit zeigen, daß sie an ihrer Ehe festhält.«
    »Und dafür wollte er sie erschießen?«
    »Er wollte sie nicht erschießen.«
    »Mich? Das finde ich auch nicht netter.«
    Paul schüttelte den Kopf. »Er wollte sich erschießen. Mit Wallensteins Gewehr. Er hatte keine Ahnung, daß Elisabeth auf die Burg gegangen war. Er dachte, sie hätte ihn verlassen.«
    Karen ließ ihn die leeren Teller zurückbringen. Dann gingen sie über den Markt, vorbei an den Jungmännern, die ihren Nachwuchs vor die Brust geschnallt durch die Gegend trugen, an den Altfrankfurtern, die sich den Apfelwein bembelweise hinter die Binde gossen, an den schönen Frauen jenseits der Fünfzig, die man, wie ihr schien, auf dem Bauernmarkt besonders häufig zu sehen bekam. Die meisten von ihnen waren allein. Was sonst?
    »Ist Eva nun mißbraucht worden oder nicht?« Man merkte Pauls Stimme die Unsicherheit an. Alle Männer machte der Gedanke an sexuellen Mißbrauch unsicher. Kollektivschuld qua Geschlecht: Irgendwie fühlten sie sich mitschuldig für die Minderheit der Täter.
    »Unwahrscheinlich. Aber es ist auch egal – du mußt nicht mißbraucht worden sein, um dieses elende Gefühl des Versagens zu haben. Das geben alle Mütter ihren Töchtern mit.« Frauen waren auch nicht die unschuldigen Opfer, als die sie sich manchmal gaben.
    Sie stellten sich an das runde Tischchen vor dem Weinausschank; gleich nebenan war der Stand mit den gerösteten Maiskolben.
    »Frag mich mal, was Mütter ihren Söhnen mitgeben.«
    »Ich werd’ mich hüten, Paul Und hol mir bitte einen Weißherbst.«
    Heute brauchte er lange, bis er sich zur Theke vorgekämpft hatte. Einer der neuen Väter stellte sich neben Karen, das Baby vor die Brust gepackt, in der rechten Hand einen Zwiebelkuchen, in der linken sein Mobiltelefon, in das er mit vollem Mund hineinredete. Karen sah ihm mit einer Mischung aus Melancholie und Verwunderung zu. Der junge Mann schien ihr plötzlich geradezu unnahbar jung zu sein.
    »Eines versteh ich immer noch nicht.« Paul hatte zu ihrem Nachbarn hinübergenickt und dann mit Karen angestoßen. »Warum hat Sebastian Klar nicht seinen alten Freund Panitz umgebracht? Warum Maximilian von der Lotte?«
    »Schuldgefühle. Das ewige Lied.« Sie nahm einen großen Schluck.
    Paul runzelte die Stirn.
    »Ich vermute mal: Auch Sebastian hatte früher was mit Eva. Und auch zu ihm war sie hilfesuchend gekommen. Er fühlte sich ebenfalls schuldig an ihrem Tod – und damit zugleich am Tod seiner eigenen Tochter. Schon deshalb hätte er den Bruder Evas nicht umlegen können.« Karen blickte ins Weite. Der junge Vater neben ihr wiegte sein greinendes Kind, während er noch immer telefonierte. Plötzlich überkam sie
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