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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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der Anfall vorbei. Die restlichen Stufen bewältigte sie ohne Schwindelgefühl. Als sie oben angelangt war, auf einer großen Aussichtsplattform, atmete sie tief auf. Über ihr wölbte sich der diesige Himmel, das Hupen eines Autos schwebte gedämpft von unten herauf, und im Dunst glitzerte das Band des Flusses. Die Katze war zur Bank gelaufen, auf der eine zusammengesunkene Gestalt saß, mit dem Rücken zu Karen. Als sie nähergekommen war, drehte sich Elisabeth Klar um. Die Frau sah müde aus. Mönch war ihr auf den Schoß gesprungen und guckte vorwurfsvoll.
    »Was machen Sie denn hier?« Elisabeth wirkte nicht sonderlich überrascht.
    »Die Aussicht soll hübsch sein.«
    Elisabeth lachte. »Dafür nimmt man offenbar einiges auf sich.« Dann rückte sie beiseite, damit Karen sich setzen konnte. Die Katze schnurrte.
    Später konnte Karen nicht mehr sagen, wie lange sie dort gesessen hatten. Vielleicht gar nicht so lange, wie sie im Nachhinein glaubte. Sie erinnerte sich an den heftigen Stoß, der sie von der Bank fegte. An den Schuß und daran, daß sie noch dachte: »Kleinkaliber«, bevor sie auf dem Boden neben der Bank landete. An den Schmerz, der sie durchfuhr. An Elisabeths Schrei. Und an das protestierende Fauchen der Katze.

8
    »Es schien mir plausibel.« Karen Stark drückte den linken Arm an sich, der frisch eingegipst war und in einer Schlinge hing.
    »Sie haben eine Neigung, Ihren Gefühlen nachzugehen, die nicht besonders gesund ist«, sagte Kosinski. »Außerdem haben Sie sich in Ermittlungen eingemischt, die Sie nichts angingen.«
    »Es ist ja niemand sonst auf die Idee gekommen.«
    »So würde ich das nicht sehen.« Aber im Grunde mußte er ihr rechtgeben.
    »Die Spannung war doch mit Händen zu greifen. Und ein Drama wie das in der Kirche von Lambsheim geht an einem Dorf nicht spurlos vorüber«, sagte Karen.
    »Und wie kamen Sie auf Elisabeth?«
    »Die Frau war am Durchdrehen. Das spürte man. Und als ihr Mann von den Kerzen erzählte, die sie angezündet hatte – ›für Eva‹ – da war mir alles klar.«
    Kosinski war gar nichts klar. »Wieso zündete sie Kerzen an für eine Frau, die ihre Tochter auf dem Gewissen hatte?«
    »Sie mußte Eva als Opfer sehen. Um von den eigenen Schuldgefühlen abzulenken.« Karen tat irritierenderweise so, als ob ihr Gedankengang das Selbstverständlichste der Welt wäre. »Elisabeth hat all ihre Schuldgefühle projiziert – nicht auf Eva. Das wäre zu nah gewesen. Sondern auf die, von denen sie glaubte, Eva sei ihr Opfer gewesen. Sie wollte, daß Eva ein Opfer war – weil sie sich dann selbst als Opfer sehen konnte. Der Männer. Eines Mannes.«
    »Wieso hatte sie Schuldgefühle?« Das war ihm alles zuviel Psychokram.
    »Sie machte sich Vorwürfe, weil sie am Pfingstsonntag vor einem Jahr ihr Kind weggegeben hatte. Wenn sie Bettine nicht zu Agata gebracht hätte, dachte sie wahrscheinlich, würde das Kind noch leben.«
    »Und der Gedanke ist nicht auszuhalten«, sagte Bremer plötzlich.
    »Gefühle also.« Kosinski sah sie an. Er glaubte nicht so recht daran.
    »Gefühle, genau.« Karen guckte herausfordernd zurück. »Auch Panitz hat gefühlsmäßig agiert. Auch er hat nicht bei Eva oder gar bei sich selbst, sondern bei anderen die Schuld gesucht – bei den Männern, von denen er glaubte, daß sie sie im Stich gelassen hätten.«
    »Also war die Kampagne gegen die Wingartener Weinpanscher nur vorgeschoben?«
    »Genau. Auch wenn er sich das nie eingestanden hätte.« Karen lächelte ihm zu. Ein bißchen von oben herab, fand Kosinski. »Es gibt eben nicht nur die materielle Welt. In der alles nach klaren, einleuchtenden Regeln funktioniert – und in der nach streng geschäftlichen Prinzipien gemordet wird. Zu einem Mord gehören tiefere Gefühle. Und tiefere Verletzungen.«
    Kosinski bescheinigte ihr insgeheim Überzeugungskraft. Aber noch waren die meisten Fragen offen.
    »Das Groteske ist: Elisabeth sah ausgerechnet in dem Mann den wirklich Schuldigen am Tod ihrer Tochter, der ebenfalls Eva rächen wollte, der ebenfalls bei anderen die Schuld suchte, um nicht bei sich selbst danach suchen zu müssen.«
    »August M. Panitz«, sagte Kosinski.
    Karen nickte. »Elisabeth war es, die ihn damals in Müller-Dernaus Gärkeller eingeschlossen und die Ventilatoranlage ausgeschaltet hat.«
    »Und wie kam sie darauf, daß der Bruder Evas der eigentlich Schuldige war?«
    Karen zuckte mit den Schultern. »Elisabeth griff zu der Erklärung, die derzeit alle Welt am
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