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Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Titel: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
Autoren: Verena Kast
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aus Kriegsfilmen entlang werden die eigenen Erlebnisse erzählt. Mehreren Studien gemäß scheint das typisch zu sein. 27
    Was wir für unsere Erinnerungen halten, sind nicht immer die unseren. Freeman 28 postuliert sogar ein narratives Unbewusstes. Er ist der Ansicht, dass wir viele Geschichten gehört und gesehen haben, die wir wie eigene Erinnerungen behandeln, letztlich aber nicht mehr genau wissen, ob wir sie erlebt oder nur davon gehört haben. Diese Geschichten gehören aber auch zu uns, auch die Begegnungen mit der kulturellen Welt sind Teil unserer Biografie. Nur kulturelle Geschichten, auf die wir mit genügend Resonanz reagieren, die also in uns ein Mitschwingen auslösen, können so zu unserem Eigenen werden. Das leuchtet ein, wenn wir bedenken, dass wir in Geschichten eintauchen können, wenn wir sie mit all unseren Sinnen – auch vorstellungsbezogen – lesen. Am ehesten kennen wir das aus unserer Kindheit, wo wir in einem Buch mit dem Protagonisten, der Protagonistin mitfiebern und es kaum ertragen, wenn diese zum Beispiel stirbt. Das darf dann einfach nicht sein. Haben wir uns so in eine Geschichte hinein verloren, haben so sehr mitgefiebert, und übrigens auch viel Lebenserfahrung daraus gezogen, so verwundert es nicht, dass Jahrzehnte später die Trennungslinie zwischen dem, was zu einem selber gehört, und dem, was wir gelesen haben, was vielleicht auch zu einem selber hätte gehören können, sich etwas verwischt.
     
    Auch die Trennlinien zwischen Träumen und so genannten realen Erfahrungen wird unscharf, besonders im Zusammenhang mit Kinderträumen. So erzählt ein etwa 60-jähriger Mann immer wieder davon, dass er als Kind verschiedentlich Opfer von Autounfällen geworden sei, – erstaunlich nur, dass er keine bleibenden Schäden davon getragen habe. Er erzählt diese Begebenheiten, um zu illustrieren, wie wenig sich seine Eltern um ihn gekümmert hatten. Die Frage, ob es denn an seinem in den Bergen liegenden Heimatort damals schon so viele Autos gegeben habe, verunsicherte ihn etwas. Natürlich: der Metzger, der Pöstler. Bei einem Gespräch über Träume aus der Kindheit, die wir noch erinnern, erzählt er von Unfällen mit dem Fahrrad, mit dem Schlitten. Er kann sich nicht mehr richtig erinnern, sagt nur: Und dann lag ich auf der Straße oder im Schnee – aber ich wurde nie verletzt, glaube ich.
    Plötzlich meinte er, vielleicht habe ich gar nicht so viele Autounfälle erlebt? Vielleicht waren das nur meine Träume? Das mag so sein. Wie auch immer, es gehört zu seiner Lebensgeschichte, dass er sich ausgeliefert, bedroht gefühlt hatte – und dass dann letztlich doch nicht »viel« passierte.
     
    Unsere Erzählungen, sowohl die Inhalte als auch die Form, sind von unserer Lebensgeschichte geprägt. Wir erzählen, wie unsere Eltern uns erzählt haben, besonders die Mütter. 29 Haben sie uns gelehrt, dass man schnell auf den Punkt kommen soll, werden die Erzählungen eher Informationen gleichen und wenig emotional sein. Schmückten sie selber die Erzählungen aus, schilderten sie Imaginationen und förderten auch die Imaginationen der Kinder, wird man vorstellungsbezogener sprechen.
    Dazu kommt, dass Menschen Mustern entlang erzählen, die kulturellen Schemata entsprechen, die typisch sind für eine Kultur. In unserer Kultur (und vielleicht nicht nur in unserer) wird zum Beispiel gern übertrieben, besonders dann, wenn es um Heldengeschichten geht, um Geschichten, in denen man einer Katastrophe gerade noch knapp entronnen ist.
    Superman-Filme, aber auch die Geschichten um Harry Potter können als Belege dafür gesehen werden.
    Erinnerungen sind also oft Mischungen von eigenem Erlebtem, von dem, was uns nahe Menschen erlebt haben, was wir gelesen haben, gesehen haben, und gelegentlich kann man uns auch etwas einreden. Wir können suggestibel sein, wenn es darum geht, Erfahrungen aus unserem Leben zu erinnern. Dazu gibt es Studien: Versuchspersonen wurden verschiedene wichtige Erfahrungen aus ihrem Leben, die zuvor erfragt worden waren, noch einmal vorgelegt. Sie sollten in ihrer Bedeutsamkeit eingestuft werden. Unter diese »wirklichen« Erfahrungen wurde eine eingestreut, die sie zuvor nicht geäußert hatten. Sie wurden danach gefragt, wie es war, als sie im Warenhaus verloren gegangen waren. Auf diese Frage hin erinnerten sich 29 Prozent und konnten Details beisteuern, wie das damals gewesen war. 30 In nachfolgenden Befragungen wurden die Erinnerungen daran immer detailreicher, obwohl
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