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Was wir sind und was wir sein könnten

Was wir sind und was wir sein könnten

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten
Autoren: Gerald Hüther
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unseres Erbgutes sind identisch mit dem unserer nächsten äffischen Verwandten, und seit es unsere Spezies gibt, also seit etwa 100   000  Jahren, hat sich an unserem Erbgut nichts mehr verändert. Das, was wir heute sind, was in den letzten 100   000  Jahren aus uns geworden ist, hat also nichts mit unseren genetischen Anlagen zu tun. Es ist vielmehr Ausdruck des Umstandes, dass es in diesem langen Zeitraum unseren Vorfahren von Generation zu Generation gelungen ist, diese genetischen Potentiale so zu entfalten, also dieses Potential so zu nutzen, dass schließlich das aus uns werden konnte, was wir heute sind: aufrecht gehende, der Sprache mächtige, des Lesens, Schreibens, Rechnens kundige, die Welt entdeckende und unsere Lebenswelt gestaltende, sogar in einem gewissen Maße einsichtsfähige, aus Fehlern lernende und selbstreflexive, mit einem Ich-Bewusstsein ausgestattete Nachfahren derjenigen, die sich damals, vor etwa 100   000  Jahren, mit diesem nur geringfügig von dem der Affen unterschiedenen genetischen Potential auf den Weg einer kulturellen Evolution gemacht hatten.
    Was wir heute an uns selbst bestaunen, worauf wir stolz oder worüber wir nach wie vor besorgt sind, ist also das Resultat einer bemerkenswerten Kulturleistung, nicht aber irgendwelcher biologischer oder gar genetischer Gegebenheiten.
    So wird auch erst jetzt, angesichts dieser Erkenntnis, die Frage wieder interessant, mit der sich Friedrich Engels damals, vor 150  Jahren bereits befasst hatte: Wie war das möglich? Was hat uns nun wirklich zu dem gemacht, was wir heute sind – und in die Zukunft weitergedacht: Was brauchen wir, damit uns all das nicht wieder verloren geht, damit wir auch in Zukunft weiter unsere Potentiale entfalten können? Engels nannte es »Arbeit«, und ihm war klar, dass der »Wirkort« dieser »Arbeit« im menschlichen Gehirn, in der psychoemotionalen Entwicklung des Menschen zu suchen ist. Er verstand freilich unter dem Begriff »Arbeit« noch etwas anderes als das, was die Mehrzahl der Menschen in unserem Kulturkreis seit dem Beginn der Industrialisierung darunter zu verstehen sich verständigt hatte: Lohnarbeit, die Lieferung physischer oder psychischer Leistungen gegen ein Entgelt, das wiederum dazu benutzt wird, den eigenen Lebensunterhalt und ggf. auch noch den der eigenen Nachkommen und damit sowohl den Erhalt wie auch die Reproduktion der Ware »Arbeitskraft« zu sichern.
    Aus heutiger neurobiologischer Sicht stellt sich angesichts dieser Entwicklung die Frage, ob diese Art von »Arbeit« dazu beitragen kann, nicht nur den bisher erreichten Stand der kulturellen Entwicklung des Menschen zu sichern, sondern auch die Voraussetzungen für eine weitere Entfaltung der in uns Menschen angelegten geistigen Potentiale zu bieten. Die Antwort lautet »nein«, denn das menschliche Gehirn ist nicht für die Durchführung bezahlter Dienstleistungen, sondern für das Lösen von Problemen optimiert, die das Leben jedes Einzelnen in einer menschlichen Gemeinschaft bereithält und immer wieder neu schafft. Jede körperliche oder geistige Anstrengung, zu der ein Mensch sich aufrafft, um eine Bedrohung abzuwenden oder eine Herausforderung zu meistern, neues Wissen zu erwerben und neue Fähigkeiten zu entwickeln, ist also »Arbeit« in einem nicht entfremdeten, dem Menschen gemäßen Sinn.
    Erst diese »hirngerechte« oder besser »Sinn stiftende« Definition dessen, was »Arbeit« ist, macht deutlich, was Friedrich Engels schon vor 150  Jahren in seinem Aufsatz zum Ausdruck gebracht hat: Alles, was Menschen beschäftigt, was sie nach neuen Lösungen suchen oder vielleicht auch nur erneut in alte Muster flüchten lässt, was sie im weitesten Sinn »bewegt« und »anregt«, ist Arbeit.
    Und das Ergebnis dieser »Arbeit« ist auch nicht das Produkt, das dabei als äußeres »Werk« entsteht, das Ergebnis dieser »Arbeit« ist die eigene Weiterentwicklung, die weitere Vervollkommnung, die Entfaltung von bis dahin nicht sichtbarer oder noch nicht entwickelter Potentiale bei dem, der »arbeitet«.
    Angesichts dieser schon von Engels beschriebenen und nun auch durch die Erkenntnisse der Hirnforschung aus den letzteren Jahrzehnten endlich bestätigten Bedeutung der Arbeit für die Menschwerdung des Affen darf nun auch die Frage neu gestellt werden, ob es bestimmte Gruppen von Menschen gibt, die in diesem Sinne mehr und intensiver arbeiten als andere, und ob es »Arbeiten« gibt, die für die eigene Entwicklung,
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