Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
eingeschlossen sind. Diese Chemikalie reagiert auf Pollen, weil sie glaubt, sie seien sozusagen ein feindliches Heer. Deshalb mobilisiert sie Antikörper, um sie zu bekämpfen, die dann mittels der T-Zellen durch den Blutkreislauf transportiert werden. Die Antikörper bringen die Mastzellen dazu, Histamine und Leukotrine zu produzieren, was die Ursache dafür ist, daß... aber ich sehe schon, ich langweile dich.«
    Vic drehte sich wieder zu Joe um. Natürlich war er gelangweilt; schon als Joe die erste Chemikalie nannte, hatte er sich dabei ertappt, wie seine Augen zu einer zuckenden Rattennase wanderten, die aus dem spärlichen, wahrscheinlich gesetzlich vorgeschriebenen Minimum an Stroh herausragte.
    »Nein. Kein bißchen.«
    »Gleichwie. Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Heuschnupfen ist eine Autoimmunreaktion. Er ist im Grunde das Ergebnis eines überaktiven Immunsystems. Eines Immunsystems, das sofort verrückt spielt, wenn es sich irgendwo attackiert fühlt.«
    »Aha!« Vic spürte, wie sich ein Gähnen anbahnte.
    »Nun: Die Tatsache, daß du plötzlich ohne ersichtlichen Grund keinen Heuschnupfen mehr hast...«, Joe schob die Platte, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, behutsam in die Mikroskophalterung, »kann nur bedeuten, daß dein Immunsystem im Augenblick bedeutend weniger aktiv ist.«
    Vics Gähnen versank irgendwo in seiner Brust. »Was willst du damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, als du blutend vor deiner Haustür auf dem Boden lagst, da berührte ich dein Gesicht, und dein Blut kam an meine Finger. Aus irgendeinem Grund, ohne daß ich einen konkreten Gedanken dabei im Kopf gehabt hätte, wollte ich das Blut abwaschen. Ganz schnell. Und dann fiel mir ein, daß du mal erwähntest, daß du dieses Jahr keinen Heuschnupfen hast, und ich dachte — ich sagte mir, ein Bluttest wäre vielleicht keine schlechte Idee.«
    Vic lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ein Bluttest.«
    »Ja. Hast du in letzter Zeit einen machen lassen?«
    Vic lächelte säuerlich, sarkastisch. »Nein.«
    Joe ging um den Schreibtisch herum und beugte sich von der anderen Seite her über das Mikroskop. Vic war noch nicht bereit, seiner Logik nachzugeben: Alles in ihm sträubte sich dagegen.
    »Und nur weil ich dieses Jahr keinen Heuschnupfen habe, kamst du auf die Idee, mich zu kidnappen und mich zu einem Bluttest zu zwingen?«
    »Nein«, erwiderte Joe ohne aufzublicken. »Das war nur einer von mehreren Punkten. Du weißt ja sicher, daß Emma einen Hirntumor hatte?«
    Wieder diese beängstigend ruhige Stimme. Joe wirkte, als stünde er völlig neben sich und dem allen hier — wie ein Mann, der so viel durchgemacht hat, daß er an jene Grenze seines Empfindungsvermögens gestoßen ist, hinter der nur noch die völlige Stumpfheit liegt.
    »Natürlich«, sagte Vic, bemüht, den gleichen Ton anzuschlagen, obwohl er verblüfft war, woher Joe davon wußte.
    Joe drehte hastig an den Fokussierrädern, verstellte sie nicht millimeter-, eher zentimeterweise. »Wie der Zufall es wollte, wurden Zellen ihres Tumors hier in diesem Labor untersucht.« Jetzt drehte er genauer, langsamer an den Rädern. »Ich habe ihn gesehen.«
    »O Gott...«, murmelte Vic, außerstande, sich diese Erfahrung vorzustellen.
    »Aber damals wußte ich noch nicht, daß es ihr Tumor war.« Er blickte auf. »Sie benutzte Tessas Namen, als sie zu den Untersuchungen ging.«
    Vic holte Luft. »Ich weiß.«
    Joe nickte, als wäre dieser Punkt bereits abgehakt und ausdiskutiert.
    »Tumore wie diesen habe ich im Verlauf meiner Forschungen schon vorher gelegentlich gesehen — in Größe und Form ähnlich dem, was man ein Non-Hodgkin-Lymphom nennt —, und es sah so aus, als wäre er mit großer Geschwindigkeit gewachsen, was wiederum darauf hinwies, daß das Immunsystem des Patienten zusammengebrochen war oder zumindest sehr geschwächt.« Wieder beugte er sich über das Mikroskop und guckte in die beiden schwarzen Röhren. »Solche Tumore bekommt man nur in meinem Forschungsgebiet zu sehen. Und du weißt ja, was mein Forschungsgebiet ist, oder?«
    »Joe«, schrie Vic und sprang trotz seiner Schmerzen auf, »hör verdammt noch mal damit auf, ja? Du redest mit mir! Vic.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust. » Vic .«
    Joe hob den Kopf und sah Vic in die Augen, die ihn gleichzeitig verzweifelt und ruhig anguckten, oder vielmehr verzweifelt um Ruhe bemüht. Ich weiß, wer du bist, schien Joes ausdrucksloser Blick zu antworten. Deshalb mache ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher