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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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Handy zu stehlen, auf ihn einzudreschen, und dass es keine gute Idee war, einen Rivalen auf dem Barfüsserplatz abzupassen und zu erpressen. Der siebzehnjährige Junge blickt uns spöttisch an. Sollen sie doch ruhig reden, diese Psychotypen.
    Wenn man mit gewalttätigen Jungen arbeitet, hat man nicht nur Erfolge aufzuweisen. Man wird oft frustriert, regt sich auf und überlegt sich, ob man nicht lieber Schulpsychologe in Brüttisellen geblieben wäre. Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen ist eine große Herausforderung. Die meisten jungen Männer lassen sich weder durch harte Worte, Verträge, Strafandrohungen oder eine sanfte Sprache beeinflussen. Viele haben in der ersten Sitzung keine Lust auf therapeutische Gespräche. Besuche bei Psychologen haben bei ihnen nicht höchstePriorität. Gesellschaft ist »Scheiße« und das Urteil ungerecht, basta! Wenn man sich als Psychologe oder Sozialarbeiter auf diese Klientel einlässt, braucht man ein dickes Fell, Geduld und nochmals Geduld. Und noch etwas: Menschenliebe. Der Mensch ist ein Wesen, das Stärken und viele positive Seiten aufweist, doch leider auch fies, gemein und gewalttätig sein kann. Der Schatten ist eine Realität des menschlichen Daseins. 128 Menschenliebe heißt darum, den Menschen in seinem inneren Widerspruch zu akzeptieren. Innerlich muss man der Überzeugung sein, dass es sich trotz der Abwehr, Coolness und der Frechheiten lohnt, mit diesen jungen Männern zu arbeiten. Diese Überzeugung gründet nicht in Idealismus, sondern der Erfahrung, dass es sich bei vielen dieser jungen Männer um verlorene Seelen, verirrte oder traumatisierte Personen handelt. Natürlich sind sie schuldig, müssen die Verantwortung für ihre Aktionen übernehmen. Doch auch wenn ihre Taten schockieren und Rachgefühle aufsteigen lassen, besteht bei acht von zehn Jugendlichen, die uns von den Jugendgerichten geschickt werden, Hoffnung. Es handelt sich nicht einfach um Gewalttäter, vor denen in den Zeitungen gewarnt wird und die in der öffentlichen Meinung wegen ihrer Taten die nächsten sechs oder mehr Jahre in einem Gefängnis sitzen sollen, sondern auch um Menschen. Ihre Taten sind nicht immer Ausdruck einer psychopathischen Neigung, sondern oft vielfach Resultat unglücklicher familiärer Umstände, sozialer Missständen oder einer gescheiterten Integration. Die Jugendlichen, die zu uns geschickt werden, leiden oft unter ihrer Geschichte oder wurden nicht in die Gesellschaft eingebunden. Hinter ihrer Gewalt verstecken sich oft Profilierungswünsche oder die Hoffnung auf eine Auseinandersetzung mit Repräsentanten des Systems. Gibt es da jemanden, der sich mir entgegenstellt? Stattdessen werden sie aus Schulen entfernt, es werden Strafen verhängt und Klärungsgespräche durchgeführt. Viele haben die psychologische Bedeutung ihrer Tat noch nicht erfasst. Sie wurdenvon einem unbewussten Drang nach Schuld getrieben. Die meisten Jugendlichen, mit denen wir zu tun haben, verfügen über Ressourcen. Man kann sie erreichen und eine Haltungsänderung bewirken. Sie haben trotz ihrer entsetzlichen Taten ein Recht, dass man ihnen hilft, ein gewaltfreies Leben zu führen und die tiefere Bedeutung ihrer Taten zu entschlüsseln. Die Alternative wäre, sie lebenslang wegzusperren und jede Wiedereingliederung auszuschließen. 129 Dies würde jedoch nicht nur unsere Gesellschaft überfordern, sondern ist auch ethisch problematisch. Die Schattenthematik, die sich in ihren Taten manifestiert, würde damit verdrängt. Im Gegensatz zu den erwachsenen Gewalttätern handeln die meisten jugendlichen Täter nicht aus krimineller Energie, sondern ihr Delikt ist Ausdruck einer Verirrung, eines Hilferufs oder einer unbewussten Thematik. Man muss also versuchen, junge Männer, die in eine Gewaltszene abglitten oder ihre Affekte nicht unter Kontrolle haben, auf den richtigen Weg zu bringen.
    Bei der Vorgehensweise muss man jedoch viele therapeutische Konzepte und Ansätze über Bord werfen: die Betonung des Gesprächs, die therapeutische Abstinenz, das Setting und das Konzept der Nacherziehung durch Verhaltenstrainings. Unbedingtes Ziel des Anti-Aggressions-Trainings ist jedoch die Gewaltfreiheit. Hier gibt es von unserer Seite keine Diskussion. Gewaltfreiheit ist jedoch nicht nur ein Ziel, sondern eine therapeutische Haltung . Wenn man mit jungen Gewalttätern arbeitet, dann muss man auch innerlich der Überzeugung sein, dass es Mittel und Wege gibt zu verhindern, dass wir bei Konflikten mit Gewalt
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