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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt
Autoren: Allison Winn Scotch
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lächelt, um den Schrecken zu verbergen. In dem Moment erinnert sie mich irgendwie an die Grinsekatze aus Alice im Wunderland . «Ich wusste schon immer, dass du etwas ganz Besonderes bist, Tilly Everett.» Sie nimmt ein Päckchen Streichhölzer zur Hand und zündet die Kerzen an.
    Farmer , möchte ich sie korrigieren, Tilly Farmer. Nicht Everett. Tyler und ich sind verheiratet, wir kriegen bald ein Kind. Mehr brauche ich nicht auf der Welt, um glücklich zu sein!
    «Erzähl mir das Allerwichtigste über dich, etwas, das ich nicht weiß, etwas, das vielleicht niemand weiß», raunt sie heiser. Es klingt gespenstisch, ihre Stimme ist nur noch ein Hauch.
    «Ich habe keine Geheimnisse», antworte ich, ohne zu zögern. «Das habe ich dir doch eben schon gesagt – ich liebe mein Leben. Ich habe nichts zu verbergen.»
    «Jeder Mensch hat etwas zu verbergen», sagt sie und sieht mir direkt in die Augen.
    «Also, ich nicht. Ich bin glücklich. Und das ist alles, was zählt.» Inzwischen wünschte ich fast, ich hätte mich nicht darauf eingelassen. Ja, warum hast du dich überhaupt darauf eingelassen?
    Ashley brummt eine Antwort, die sich nicht deuten lässt. Sie streut mir das kohlenstaubartige Pulver auf die Handflächen und zerrt meine Arme so heftig zu sich herüber, dass sie mir um ein Haar die Schultern ausgekugelt hätte. Meinen Protest beachtet sie gar nicht. Sie drückt mir die Wurzel in die Hand und atmet tief ein und aus. Der Geruch des Räucherstäbchens vermischt sich mit ihrem schalen Atem und dem verkohlten Geruch des Pulvers. Ich schlucke verzweifelt, um mich nicht jeden Augenblick übergeben zu müssen. Da zieht sie plötzlich die Wurzel aus meinen Händen, taucht meine Fingerspitzen in die Schale mit dem kühlen Wasser, und das schwindelige Gefühl ist verschwunden.
    «Oh!», sagt sie noch einmal, panisch und euphorisch zugleich, während sie mich anstarrt, fast verschlingt mit ihrem glühenden Blick.
    «Was? Was Oh! ?», herrsche ich sie an, genauso panisch wie sie, weil das Ganze für meinen Geschmack ein bisschen zu real ist und definitiv unheimlicher als erwartet. Auf meinen Unterarmen stellen sich sämtliche Härchen auf. «Hast du meine Zukunft gesehen?»
    Mach dich doch nicht lächerlich, Tilly! , denke ich im gleichen Moment. Niemand kann in die Zukunft sehen.
    «So funktioniert das nicht, Tilly.» Sie lächelt, aber es ist ein nacktes Grinsen, ohne Zuneigung.
    «Was meinst du damit? Du hast gesagt, du kannst meine Zukunft lesen. Also? Was ist jetzt damit?» Steh auf und verschwinde! Hau einfach ab! Ashley Simmons ist eine wandelnde Katastrophe, die jeden mitreißt, der ihr in die Quere kommt .
    «Manchmal kann ich Dinge sehen, und manchmal enthüllen sich mir Dinge anderer Art», sagt sie, als sei das die Antwort auf alle Fragen. «Das verstehst du vielleicht nicht.»
    «Nein», sage ich. «Ehrlich, Ashley, ziehst du jetzt eine Art Karma-Rache ab, weil wir auf der High School keine Freundinnen mehr waren, oder was wird das hier?» Ich stehe auf.
    «Setz dich!», befiehlt sie. «Ich bin noch nicht fertig. Außerdem dreht sich nicht immer alles nur um die High School, Tilly.» Ihr Tonfall nimmt mir den Wind aus den Segeln, und ich sinke mit zitternden Knien zurück auf den Stuhl. «Mach die Augen zu.»
    Ich gehorche und höre, wie sie hinter mich tritt. Dann spüre ich, wie sie mit dieser grässlichen Wurzel über meine Schläfen reibt und dann über meine heftig pochende Kehle. Wie ein Spinnennetz legen sich ihre Finger über meinen Schädel, und sie presst die Nägel wie winzige Heftklammern in meine Stirn. In meinem Rückgrat höre ich einen Wirbel knacken, ich verliere das Gleichgewicht, und obwohl ich die Augen geschlossen habe, spüre ich, wie sich alles um mich dreht und die Schwerkraft mich auf den schmutzigen Lehmboden zieht.
    Doch dann löst sie mit einem Ruck die Hände von mir, und das Schwindelgefühl ist verschwunden. Als ich die Augen wieder öffne, hat das Zelt sich verändert. Es wirkt heller, strahlender, auf eine Art und Weise, die ich nicht beschreiben kann.
    « Jetzt sind wir fertig», sagt Ashley keuchend. Der Kragen ihrer Bluse ist voller Schweißflecken. «Ich berechne dir nichts dafür. Du darfst es als Geschenk betrachten.»
    «Was für ein Geschenk denn?» Ich bin fassungslos. «Du hast mir doch überhaupt nichts gesagt.»
    «Das Geschenk der Klarheit, Tilly. Das, was du meiner Meinung nach schon immer gebraucht hast.»
    «Ich kapier kein Wort». Mit zittrigen Beinen
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