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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt
Autoren: Allison Winn Scotch
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rumsitzt und wartet?»
    «Warum hast du mich nicht angerufen?», frage ich.
    «Der Akku ist leer.» Sie zuckt mit den Achseln. Natürlich ist der Akku leer , denke ich. Darcy hat noch nie vernünftig vorbereitet das Haus verlassen oder das Richtige mitgenommen. «Ich kann nicht fassen, dass du es vergessen hast!», sagt sie.
    «Ich hab es nicht vergessen», lüge ich. «Ich hatte einen furchtbar vollen Tag. Du weißt doch, dass der Jahrmarkt die Gelegenheit für die Schule ist, Spenden zu sammeln.» Vom Triumphbogen ganz zu schweigen. Wie soll ich an Moms Geburtstag denken, wenn ich den Triumphbogen im Kopf habe? «Außerdem bin ich dieses Jahr für das Schul-Musical verantwortlich», schiebe ich nach einer kurzen Pause hinterher, als ließe Darcy sich damit tatsächlich beeindrucken. Als könnte ich sie überhaupt mit irgendwas beeindrucken.
    «Ist ja auch egal», sagt sie, gänzlich unbeeindruckt. «Moms Geburtstag ist schließlich nur einmal im Jahr.»
    Ich zucke mit den Achseln, nicht gewillt, mich provozieren zu lassen. Tyler sperrt auf, verschwindet ins Haus und überlässt mich meinem Schicksal. Die Fliegentür knallt zu, und Darcy wartet nägelkauend darauf, dass ich Buße tue. Mich durchfährt ein Stich aus Mitleid für meine kleine Schwester.
    «Hör zu, es ist immer noch hell. Ich gehe nur noch schnell aufs Klo, und dann fahren wir los, okay?»
    «Okay.» Sie zieht eine Schnute, und ich muss daran denken, was für ein launisches Kind Darcy gewesen ist, in welch blitzartigem Tempo ihre Stimmung von sonnig auf bewölkt und dann auf Sturm umschlagen konnte.
    «Ich warte im Auto.» Sie steht auf, ihr dunkelblonder Pferdeschwanz wippt hin und her, und mir fällt auf, wie dünn sie geworden ist, seit sie in L.A. lebt. Die kurze Hose sitzt mehr als locker auf den Hüftknochen; die Brüste sind inzwischen klein wie Mäusefäuste; die Beine so schlaksig wie bei einem Rehkitz.
    Darcy knallt die Autotür hinter sich zu, was übersetzt eindeutig «Leck mich!» heißt, und ich trotte auf die Toilette neben der Eingangstür und zerre die Unterhose runter, um nach der XXL-Maxibinde zu sehen. Sie ist immer noch rein.
    Ich strecke mich, mustere mein Spiegelbild. Irritiert sehe ich näher hin. Irgendetwas ist anders. Unter der Blässe liegt eindeutig ein Grauton, und die Schatten unter meinen Augen haben einen seltsam gelblichen Schimmer. Hitzschlag , denke ich und beuge mich über das Waschbecken, um mir die hohlen Wangen mit Wasser zu bespritzen. Ich wische die Tropfen weg, trockne mir mit einem Handtuch das Gesicht ab, und als ich wieder in den Spiegel schaue, erschrecke ich fast zu Tode: Ashley Simmons starrt mir entgegen, Ashley, wie sie leibt und lebt, mit ihren dunkelbraunen Augen und dem schwarzen Stufenschnitt.
    Herr im Himmel! Mir springt um ein Haar das Herz aus der Brust. Kreischend mache ich einen Satz nach hinten und stoße mit den Kniekehlen gegen die Kloschüssel. Todesmutig mache ich einen Schritt auf den Spiegel zu, blinzle zweimal heftig, und – peng!  – ist Ashley verschwunden, nur noch ein Hirngespinst, eine Erinnerung an diesen Nachmittag. Ich sehe noch einmal hin, nur um sicherzugehen, aber da bin nur ich; aschfahl, abgekämpft, mit einer angepissten Schwester im Auto und Grauen im Magen bei dem Gedanken an die nächste missglückte Empfängnis. Mit einer heftigen Kopfbewegung schüttle ich die Gedanken ab. Halluzinationen durch Hitzschlag! Ich darf nicht vergessen, das nachher zu googeln.
    Draußen hupt es. Mit einem Ruck komme ich zu mir und habe das Bild von Darcy vor Augen, die ungeduldig im Auto sitzt, nervös mit dem linken Bein wippt und vor Ärger kocht.
    «Ty», rufe ich. Ich weiß genau, dass er in seinem Zimmer sitzt, völlig in das Mariners-Spiel vertieft, und frühestens in einer Stunde überhaupt merkt, dass ich weg bin. Jahr für Jahr verfallen wir von April bis September in dasselbe Muster, ab und zu sogar bis Oktober, je nachdem, wann die Playoffs angesetzt sind: Ty verzieht sich vor den Fernseher, um möglichst kein Spiel zu verpassen, und ich genieße die kostbare, ruhige Zeit für mich allein! Ich setze mich nach einem anstrengenden Arbeitstag voller Anforderungen, die nie vergolten werden, gemütlich vor den PC, surfe im Internet, besuche Online-Fotogalerien und tue so, als würde ich tatsächlich mit dem Gedanken spielen, selbst wieder zur Kamera zu greifen, obwohl der Traum von einer Karriere als Fotografin ebenso im Sand verlaufen ist wie Tys Baseballambitionen, wenn auch
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