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Was ich dich traeumen lasse

Was ich dich traeumen lasse

Titel: Was ich dich traeumen lasse
Autoren: Franziska Moll
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warum ich nachts nicht schlafen kann,
    wenn ich auch tausend Lieder vom Vermissen schreib,
    heißt das noch nicht, dass ich versteh,
    warum dieses Gefühl für immer bleibt.
    So laut, die Stunden nach dem Aufschlag, als es galt,
    das alles zu erfassen und verstehen, und es war
    so laut, dass alles, was wir dachten, nichts als Leere zu uns brachte,
    so laut und so verloren war es hier,
    als Stille bei uns wohnte anstatt dir.
    Ich hab so viel gehört und doch kommt’s niemals bei mir an,
    das ist der Grund, warum ich nachts nicht schlafen kann,
    wenn ich auch tausend Lieder vom Vermissen schreib,
    heißt das noch nicht, dass ich versteh,
    warum dieses Gefühl für immer bleibt.
    So still, obwohl ich dich mit jedem Tag vermiss,
    und wo immer du auch gerade bist,
    du zeigst mir, dass Stille jetzt dein Freund geworden ist.
    Ich hab so viel gehört und doch kommt’s niemals bei mir an,
    das ist der Grund, warum ich nachts nicht schlafen kann,
    wenn ich auch tausend Lieder vom Vermissen schreib,
    heißt das noch nicht, dass ich versteh,
    warum dieses Gefühl für immer bleibt.
    Der Pfarrer ist jetzt da. Er steht vor der Urne. Neben ihm lacht Rico mit zugekniffenen Augen gegen die Sonne an.
    Â»Wir haben uns heute hier versammelt …«
    Ich höre nur vereinzelte Worte. Guter Freund. Geliebter Sohn. Fröhlicher Zeitgenosse.
    Ich bin ganz still.
    Rico lacht regennass.
    Isabella geht nach vorne. Ihre Beine wackeln. Ihr Vater will aufspringen, um sie aufzufangen, aber sie fängt sich selbst und er bleibt sitzen. Sie liest: »Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können! Und wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.«
    Rico lacht neben einem Schneemann.
    Sein Vater nimmt die Urne in den Arm, trägt sie wie ein Baby, das noch nicht laufen kann. Wir gehen hinter dem Pfarrer her durch die Menschenmenge. Tränennasse Gesichter. Niedergeschlagene Augen. Zaghaftes Lächeln.
    Er hat sich gut versteckt. Aber ich erkenne ihn trotzdem. Das Loch in seinem Ohr hat ihn verraten. Ich hebe die Hand ein wenig. Lasse sie wieder sinken.
    Der Weg ist lang und der Priester geht langsam. Die Grube ist kleiner. Wie ich es gesagt habe. Die Urne wird in die Erde gelassen. Wir werfen Blumen darauf. Meine Sonnenblume verschwindet unter all den anderen.
    Â»Kommst du mit zu uns?«, fragt Isabella. »Nur Familie und engste Freunde.«
    Â»Ja, gerne.«
    Ich schaue mich um. Er ist nicht mehr da.
    Das Murmeln der Stimmen, Musik, das Klappern von Geschirr und Besteck, alles wird leiser, als ich die Treppe hochsteige.
    Es ist unberührt. Er müsste nur hereinkommen und könnte sein Leben einfach wieder aufnehmen. Sogar die Sachen, die sie mit ins Krankenhaus genommen hatten, stehen wieder an Ort und Stelle. Nur eins ist neu. Auf dem Schreibtisch liegt ein Heft, eins von den dicken Schulheften. Jemand muss es gefunden und dort hingelegt haben.
    Ich nehme es in die Hand und öffne es.
    Das ist seine Handschrift. Nach rechts geneigte Buchstaben. Die Bögen von N und M sind Wellen, kaum zu unterscheiden vom U. Und immer sind die i-Pünktchen um mehrere Buchstaben verrutscht.
    Ich lese.
    Gedicht, das Elena zum Weinen bringt.
    Ein Datum, fast neun Monate her.
    Erster Versuch .
    Er ist so gründlich durchgestrichen, dass ich nur noch Bruchstücke erkennen kann.
    Liebe.
    Wind.
    Du.
    Ich.
    Ich blättere weiter.
    Weite.
    Stille.
    Nahezu alle Seiten sind gefüllt.
    Nahezu alle Worte sind unter schwarzen Strichen verschwunden.
    Ich schlage die letzte Seite auf.
    Der Eintrag ist exakt einen Monat alt.
    Vierunddreißigster Versuch
    Mehr steht da nicht.
    Ich rolle das Heft zusammen und stecke es in die Hosentasche. Wer immer es dort hingelegt hat, wird gewusst haben, dass ich das tue.

Tag 30
    Â»Versprechen kann ich es nicht. Es liegt am Wind.« Er sieht aus wie jemand, der dem Himmel nah ist. Ein verwitterter Engel, der mich in Ruhe lässt. Er sorgt dafür, dass wir aufsteigen. Als es nichts mehr zu tun gibt, schließt er die Augen und lässt sich den Wind um die Nase pfeifen.
    Da ich die einzige Passagierin bin, habe ich den Korb für mich, kann von einer Seite zur anderen wechseln und den Horizont absuchen.
    Wir fliegen über die Stadt. Ich sehe den Dom. Den Fluss. Die Hochhäuser.
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