Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
Vom Netzwerk:
einer Waschmaschine saß und ihre baumelnden Beine so schnell bewegte, dass ich nur einen Fächer sah. Zwei Männer spielten Tischtennis. Die Platte füllte fast den gesamten Raum aus, und ich hörte den Ball. Klack, klack. Dann spürte ich eine Hand an meiner Schulter. Mein Mund war ganz trocken. »Assi, wir müssen uns um den da kümmern«, sagte wer, und ich hörte mich wie von weitem: »Sag doch Astrid bitte, ja?«
    »Das kann ich machen, aber mach du doch mal die Augen auf.«
    Es war viel zu hell. Das Licht brannte, und ich schloss die Augen gleich wieder. Im letzten Moment hatte ich Julius gesehen, der auf einem großen Stein hockte und etwas umfasste wie ein Lenkrad, und ich hörte ihn rufen. »Kommt, steigt ein. Das geht ab. Die volle Geschwindigkeit. Es geht los, es geht los.«
    Ich sprang auf und fühlte mich merkwürdig weich in den Knien. »Was sollen wir tun. Ich meine, was machen wir. O Gott, hat der jetzt ’ne Überdosis oder was?« Ich lief auf Julius zu und wollte ihn umarmen, aber er hielt das imaginierte Lenkrad fest und machte Motorengeräusche: »Brrrrrrrrrrrrrrrr, Wosch.« Er lachte mit verzerrtem Gesicht. »Steig ein, Assi, die volle Geschwindigkeit.«
    Neben mir ging Sascha in die Hocke und sah mich an. »Was machen wir denn jetzt?«, fragte ich. »Du willst doch Ärztin werden«, sagte er, und ich antwortete: »Ja, aber das bin ich noch nicht. Ich habe bloß ein Praktikum gemacht auf einer Kinderstation.«
    »Na ja, Kinderstation passt doch«, sagte er und zeigte auf Julius, der weiter auf seinem Stein durch den Weltraum raste. Ich musste lachen, und Sascha ließ sich auf die Seite fallen, hielt sich den Bauch und stieß nur immer wieder »Kin-der-sta-tion« hervor. Plötzlich sagte eine tiefe Stimme hinter mir: »Was ist denn mit euch los?«
    Ich drehte mich um, und hinter uns standen zwei Männer. Einer war groß und massig. Er trug ein offenes rotkariertes Hemd mit einem Feinrippunterhemd darunter, und an den Füßen hatte er grobe Holzpantinen. Sein Kopf war rund, er hatte kaum Haare und seine Wangen waren von geplatzten Äderchen durchzogen.
    »Ist der bekloppt oder was?«, fragte er und deutete auf Julius, der unverändert auf seinem Stein saß und niemanden zu bemerken schien. Sascha hatte sich aufgesetzt, lachte aber immer noch. Der zweite Mann war ganz klein und dünn und trug einen abgewetzten Lederhut, Turnschuhe, ein hellgelbes T-Shirt und eine verwaschene Jeans. Seine Nase sah aus wie breitgehauen. Jetzt sah ich unten am Deich auch ihre Fahrräder liegen, an die Angeln gebunden waren, und ein weißer Eimer baumelte am Lenker.
    »Die sind blau, die beiden«, sagte ich. »Haben zu viel getrunken.«
    »Die Jugend von heute ist schon am späten Nachmittag besoffen.« Der Kleine drehte sich um und sagte: »Ist das euer Auto?«
    »Das von meinem Vater«, sagte ich. »Der ist nur im Wald. Pilze sammeln.«
    »Pilze sammeln? Bei dem Wetter?« Er drehte sich um, sah auf das Auto und dann wieder mich an. »Habt ihr denn noch was zu trinken?«
    »Nee, ist alles alle. Und die Flaschen haben wir in die Elbe geworfen, als Flaschenpost.«
    Als ich das Wort »Flaschenpost« sagte, fiel Sascha wieder um, strampelte mit den Beinen und presste mehrmals unter Juchzen das Wort »Fla-schen-post« heraus.
    »Wollen Sie hier angeln?«, fragte ich. Der Größere griff nach der Keksdose und öffnete sie. Er gab seinem Freund wortlos einen der Kekse. »Du bist nicht von hier, ’ne? Da fängst du keinen Stint mehr drin in der Brühe. Und wenn du doch noch einen fängst, dann leuchtet der. Verstehste? Wir angeln immer am Kiessee. Der liegt hinter dem Wald. Vielleicht begegnen wir ja deinem Vater«, sagte er grinsend und griff noch mal in die Dose. »Schade, dass ihr nichts mehr zu trinken habt, und eure Kekse sind nun leider auch alle.« Er warf die Dose ins Gras, wo sie scheppernd aufschlug, und dann gingen sie grußlos den Deich hinunter zu ihren Fahrrädern. Ich sah ihnen nach und hörte dann hinter mir ein Würgen. Julius kniete neben seinem Stein und erbrach sich. Ich strich ihm über den Kopf, und er fragte: »Was waren das für Vögel?«
    »Keine Ahnung, aber die werden ziemlich bald fliegen lernen«, sagte Sascha und sah den beiden nach, wie sie umständlich auf ihre Fahrräder stiegen und davonfuhren.
    Die Elbe lag spiegelglatt wie ein See, und die Oberfläche reflektierte das Rot des Sonnenuntergangs und die rosa gefärbten Wolken. Die Wiesen und der Deich auf der anderen Seite waren immer noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher