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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt
Autoren: Christa Wolf
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von uns beiden hochgeschätzte Persönlichkeiten ruhig ihren Kopf darüber zerbrechen, wofür »Kaffeewasser« das Codewort sein könnte.
    Diese Art Späße liebe ich nicht besonders. Kaffee? sagte ich. Und ich dachte, du würdest Tee bevorzugen. Mitnichten, sagte er, und ich solle nun nicht den ganzen Code durcheinanderbringen. Bon, sagte ich. Und er, nach einer kurzen Pause, mit unveränderter Stimme: Du hast Besuch, wie?
    Auch diese Fragen liebte ich nicht, sagte aber ja, außerstande zu lügen.
    Na, hervorragend, sagte mein Freund. Auf bald also.
    Da hörte ich mich auf einmal laut ins Telefon rufen: Du! Hör mal! Einmal werden wir alt sein, bedenkst du das!
    Er hatte aufgelegt. Ich aber setzte mich wieder an meinen Schreibtisch und schlug die Hände vors Gesicht. Ja. So verbringen wir unsere kurzen Tage. Ich weinte nicht. Ich hatte, wenn ich es mir recht überlegte, schon ziemlich lange nicht mehr geweint.
    Obwohl ich an diesem Tag noch nichts getan hatte, würde ich jetzt, mitten in der Arbeitszeit, einkaufen gehen. Es war ein Sieg der anderen, damachte ich mir nichts vor, denn wenn es eine Moral gab, an der ich festhielt, so war es die Arbeitsmoral, auch weil sie imstande zu sein schien, Verfehlungen in anderen Moralsystemen auszugleichen. Ich wollte nicht aufgeben, wie jene jungen Herren aufgegeben hatten, als sie sich, anstatt ordentlich zu arbeiten, vielleicht aus einem untilgbaren Hang zur Ein- und Unterordnung zu solch notdürftig verbrämtem Nichtstun anheuern ließen.
    Was denn. Schon wieder den Kopf anderer Leute zerbrechen? Schuhe überstreifen, Mantel an, die Tür doppelt, am liebsten, wenn es möglich wäre, dreifach verschließen, so wenig das, wie ich ja wußte, im Ernstfall nützen würde, denn mindestens ein-, wahrscheinlich aber zweimal hatten im vorigen Sommer jene jungen Herren oder deren Kollegen mit einer Spezialausbildung im Türenöffnen unsere Wohnung in unserer Abwesenheit aufgesucht, ohne allerdings mit dem Sauberkeitsfimmel von Frau C. zu rechnen, die, wenn sie nach getaner Arbeit die Wohnung verläßt, ihre eigenen Fußstapfen mit einem weichen Tuch hinter sich wegwischt, so daß es ihren Verdacht erregen mußte, als sich am nächsten Tag die Profilsohle eines Männerschuhs, Größe 41/42, deutlich auf einigen Türschwellen und auf dem dunklen Parkett im Mittelzimmer abgedrückt hatte. Worauf Frau C., die nicht leicht zu entmutigen ist, nach sorgfältiger Beseitigung dieser Spuren und ehe sie wiederum aus der Wohnungging, »nach altbewährter Manier«, wie sie sagte, ein wenig Mehl auf den Fußabtreter hinter der Eingangstür stäubte, das erwartungsgemäß die Fußspuren am nächsten Tag viel deutlicher hervortreten ließ. Außerdem haben im Bad die Scherben des Wandspiegels im Waschbecken gelegen, ohne daß sich für diesen Tatbestand eine natürliche Erklärung hätte finden lassen. Wir mußten also davon ausgehen, daß die jungen Herren ihren Besuch in unserer Wohnung gar nicht verheimlichen wollten.
    Einschüchterung nenne man das, sagte ein Bekannter, der genau Bescheid zu wissen vorgab, aber waren wir eingeschüchtert? Nun gut. Selbstverständlich redeten wir in der Wohnung mit anderen sehr leise, wenn bestimmte Themen aufkamen (und sie kamen immer auf), ich stellte das Radio laut bei gewissen Gesprächen, und manchmal zogen wir den Telefonstecker aus der Steckdose, wenn Gäste da waren, doch blieb uns bewußt, daß die Maßnahmen der anderen und unsere Reaktionen darauf ineinandergriffen wie die Zähne eines gut funktionierenden Reißverschlusses. Hoffnung ließ sich nicht daraus ableiten. Hoffnung lag vielleicht in der Tatsache, daß ich mich seit dem vorigen Sommer in meiner eigenen Wohnung nicht mehr zu Hause fühlte.
    Ich trat auf die Straße. Standen sie noch da? Sie standen da. Würden sie mir folgen? Sie folgten mir nicht. Nach der Meinung unseres bescheidwissendenBekannten waren wir der niedersten Stufe der Observation zugeteilt, der warnenden, mit der Maßgabe an die ausführenden Organe: auffälliges Vorhandensein. Eine ganz andere Stufe war die Verfolgung auf Schritt und Tritt mit ein, zwei, bis zu sechs Autos (was das kostete!), wieder eine andere die heimliche Observierung, die in Frage kam, wenn das zu observierende Objekt als ernstlich tatverdächtig galt. Dies also betraf uns wohl nicht? Der Bescheidwissende zuckte die Achseln. Denkbar war immerhin, daß auch zwei verschiedene Arten der Observation an ein Objekt gewendet würden.
    Übrigens konnte man mir ja
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