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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt
Autoren: Christa Wolf
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Kennzeichen »Ledermäntel« war ja ein überholtes Klischee, Dederonanoraks hatten sich schon längst durchgesetzt, aber ob dieses Einheitskleidungsstück ihnen von ihrer Dienststelle für den Außendienst geliefert wurde oder ob sie zum Jahresende eine Verschleißgebühr bekämen und wie hoch die etwa sein könnte – das alles hätte ich nicht zu sagen gewußt. Und kannte man heutzutage nicht schon den halben Menschen, wenn manseine Arbeitsbedingungen kannte? Zum Beispiel hätte mich auch interessiert, wie bei ihnen die tägliche Arbeitseinteilung vor sich ging, oder der Befehlsempfang, wie man das wohl nennen mußte, und ob bestimmte Posten beliebter waren als andere, die Autoposten zum Beispiel beliebter als die Türstehposten. Und, wenn ich schon mein Interesse anmeldete: Ob jene, die mit ihren Umhängetaschen auf den Straßen patroullieren, tatsächlich in diesen Täschchen ein Sprechfunkgerät mit sich führen, wie das Gerücht es steif und fest behauptet. Ich hatte manchmal den Verdacht, in den Taschen wäre nichts als ihr Frühstücksbrot, das sie aus menschlich verständlicher Imponiersucht konspirativ versteckten. Eine verzwickte Art von Amtsanmaßung. Jedenfalls verbot es sich, vor einen von ihnen hinzutreten und höflich zu fragen: Verzeihen Sie bitte, was haben Sie eigentlich in Ihrer Tasche? Ebensowenig konnte man sich bei den Autobesatzungen erkundigen, ob sie mit Abhörgeräten ausgerüstet waren und wie weit gegebenenfalls deren Radius reichte. Andere Vertraulichkeiten hingegen würden sich nicht verbieten, auch im Umgang mit ihnen gab es einen Codex, der sich allerdings kaum erlernen ließ, man hatte ihn oder man hatte ihn nicht. Zum Beispiel bedauerte ich es immer noch, daß ich nicht gleich damals, als es anfing, in den ersten kalten Novembernächten, meinem Impuls gefolgt war und ihnen heißen Tee hinuntergebrachthatte. Daraus hätte sich eine Gewohnheit entwickeln können, persönlich hatten wir doch nichts gegeneinander, jeder von uns tat, was er tun mußte, man hätte ins Gespräch kommen können – nicht über Dienstliches, Gott bewahre! –, aber über das Wetter, über Krankheiten, Familiäres.
    Nun aber Schluß. Mein beschämendes Bedürfnis, mich mit allen Arten von Leuten gut zu stellen. Den Tee damals hatten wir selber getrunken, spät in der Nacht, im dunklen Zimmer am Fenster stehend, an das wir am nächsten Tag diese Gardine hängten. Plötzlich habe ich das Licht anknipsen, dicht ans Fenster treten und zu ihnen hinüberwinken müssen. Worauf sie ihre Scheinwerfer dreimal kurz aufblitzen ließen. Sie hatten Humor. Ein bißchen beruhigter, ein bißchen weniger bedrückt als sonst waren wir schlafen gegangen. Bedrückt? Das hatte ich mir doch nie zugeben wollen. Jetzt tat ichs eben, vielleicht war das ein erster notwendiger Schritt auf Unrühmliches hin. Empfanden nicht Kinder so, wenn der erzürnte Vater ihnen durch ein kurz angebundenes »Gute Nacht!« bedeutet hat, daß er nicht unversöhnlich ist? Und wie anders als kindlich, kindisch, sollte man die unaufhörlichen Gedankenmonologe nennen, auf denen ich mich ertappte und die allzuoft in der absurden Frage endeten: Was wollt ihr eigentlich? Wieviel ich noch zu lernen hatte! Eine Institution anreden, als sei sie ein Mensch! Aber über diese frühe Phasewar ich doch hinaus, beschwichtigte ich mich selbst, Beteuerungen unterliefen mir nicht mehr, seit wann eigentlich? Eines Tages hatte ich begriffen, für Beteuerungen und Erklärungsversuche gab es keinen Adressaten, ich mußte annehmen, wogegen ich mich so lange gesträubt hatte, die jungen Herren da draußen waren mir nicht zugänglich. Sie waren nicht meinesgleichen. Sie waren Abgesandte des anderen. Lange schon war es mir nicht mehr in den Sinn gekommen, dicht an jenen Autos vorbeizustreichen und grimmigen Gesichts hineinzustarren, um den gläsernen Blicken der Insassen zu begegnen, deren Auftrag es doch sein mußte, als das, was sie waren, ausgemacht zu werden und dadurch Wut, besser: Angst zu erzeugen, die bekanntlich manche Menschen zum Einlenken treibt, andere zu unüberlegten Handlungen, welche ihrerseits wieder als Indizienbeweis dienen konnten für die Notwendigkeit der Observation. Irgend jemand, das fühlte ich stark, mußte versuchen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
    Einmal, in meiner neuen freien Sprache, würde ich auch darüber reden können, was aber schwierig werden würde, weil es so banal war: Die Unruhe. Die Schlaflosigkeit. Der Gewichtsverlust. Die
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