Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
des Schildes auf ihrer Brust. Ganz leise klingelte es, wenn sie ihren Chef erwähnte; der hatte es offenbar nicht für nötig befunden, sie gegenüber den »höheren Stellen« zu decken, bei deren Nennung ihr Schild lauter klirrte. Immerhin sei es ihr gelungen, auch diese Stellen, die sie stark bedrängt haben mußten, zur stillschweigenden Duldung dieser Veranstaltung zu bewegen, weil sie sowieso nicht mehr abzublasen gewesen war. Laut aber läutete das Bronzeschild von Frau K. Sturm, wenn sie auf die Besucher vor der Tür zu sprechen kam, die keinenEinlaß mehr gefunden hatten. Eine derartige Zusammenrottung hatte der Kollegin K. gerade noch gefehlt.
    Auch mir hatte etwas Derartiges gerade noch gefehlt, aber das sagte ich nicht. Im Gegenteil. Ich mobilisierte meine einschlägigen Erfahrungen, die nicht unerheblich waren, und fing an, Frau K. Fragen zu stellen, die ihr gleichzeitig den Rücken stärken und mich möglichst umfassend informieren sollten. Es gibt da eine Technik, die ich einem Außenstehenden nicht erklären könnte; ich nehme an, in jedem Land gibt es Gespräche, deren Hintersinn einem nur aufgeht, wenn man sie mit Dutzenden ähnlicher Gespräche über den gleichen Gegenstand vergleicht.
    Was war also mit den höheren Stellen. – Die höheren Stellen befürchteten, daß etwas passieren könnte. – Was zum Beispiel. – Zum Beispiel provozierende Fragen aus dem Publikum. – Aha. Der Pegel für noch zu duldende Fragen scheint weiter abgesunken zu sein. Aber keine Bange, Frau K., das mache ich schon. Schließlich bin ich kein Neuling.
    War ich kein Neuling? Ehrlich gesagt, gerade heute fühlte ich mich als Neuling.
    Was noch, Frau K. – Also Auslandskorrespondenten. – Welche Auslandskorrespondenten. – Die sich eingeschlichen haben könnten, obwohl... – Obwohl was? Ist dies eine öffentliche Veranstaltung oder nicht? – Schon. Obwohl...
    Kurz und gut, man hatte Vorkehrungen getroffen. – Vorkehrungen?
    Jetzt läutete bei mir ein wohlbekanntes Glöckchen Alarm. Jetzt trat ich mit der Kollegin K. in Verhandlungen ein, die, von meiner Seite zäh, taktisch klug und freundlich geführt, die Widerstandskräfte der vor kurzem erst aus Thüringen in die Schlangengrube Hauptstadt verschlagenen Abteilungsleiterin matt setzte. Nach manchem Hin und Her und reichlichem Schildgerassel lieferte sie mir mit einer Geste, die der Kapitulation eines Heeres würdig gewesen wäre, die Liste der geladenen Teilnehmer aus. Wahrhaftig, die ehrte mich. Niemand war vergessen.
    Ich sagte Frau K., daß die Liste mich ehre. Aber was die sechs laufenden Nummern bedeuten sollten, hinter denen weder eine Dienststelle noch ein Name verzeichnet war. Dazu schwieg Frau K. und sah auf ihren Schreibtisch. Da schwieg auch ich und sah auf ihren Schreibtisch. Nur sechs, dachte ich fast getrost. Wenn ich mich an jene Veranstaltungen erinnerte, bei denen fast ein Viertel... Also von »Fortschritt« sollte man in einem bestimmten Zusammenhang lieber nicht sprechen. Das einzige ist, jetzt nicht den Humor verlieren.
    So fragte ich Frau K., ob denn, nach dieser imponierenden Liste, überhaupt noch normales Publikum zu erwarten sei. Damit hatte ich sie nun aber beinahe beleidigt. Selbstverständlich habe sie auch»Leute von der Straße« hereingelassen. Das waren ihre Worte, die meinen Humor beinahe vollständig wiederherstellten. Wir werden im Alter wenigstens etwas haben, wovon wir zehren können.
    Nun mußte aber Frau K. eiligst hinuntergehen und das Publikum draußen vor der Tür dazu bringen, sich zu zerstreuen. – Und wenn man noch ein paar hereinließe, die Tür zum Treppenhaus öffnete? – Dies konnte Frau K. aus feuerpolizeilichen Gründen nur als unsittlichen Antrag ablehnen. Allein gelassen, blätterte ich in meinem Manuskript, trocknete mir den Schweiß vom Gesicht und bespritzte mich mit Kölnischwasser. Hatten diese alten unübersichtlichen Berliner Häuser nicht alle einen versteckten Hinterausgang? Mündete der nicht vielleicht neben der Tür zur Toilette, die ich noch unauffällig aufsuchen könnte? Wobei ich, ebenso unauffällig, die Toilettentür mit dem Ausgang verwechseln könnte? Daß es das erste Mal wäre, war schließlich kein Argument. Einmal muß man mit allem anfangen.
    Da kam Frau K. schon zurück. Hatte die wartende Gruppe sich zerstreuen lassen? – Leider nein. – Frau K., die an vielen Stellen gebebt hatte, seit ich sie kannte, bebte nun auch am Kinn. Was immer noch geschehen mochte, ließ sie mich wissen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher