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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt
Autoren: Christa Wolf
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gar nicht weiß, wohin. Dich nicht mal anfassen können.
    Also gut. Jetzt zieh ich mal los.
    Im Auto sang ich. Ich sang »Auf einem Baum ein Kuckuck saß, simsaladimbambasaladusaladim«. Die schaffen uns nicht, Mann. Ich stellte das Radio an, sang laut die Schlager mit, ich fuhr zu schnell die Leninallee hinunter, entschloß mich plötzlich, doch noch eine Kleinigkeit in der Grillbar zu essen und riß auch schon das Steuer herum, zum Parkplatz auf der anderen Straßenseite. Jetzt erst kam das Signal »Wenden verboten« in meiner Großhirnrinde an. Aber es wird doch nicht gleich...
    Doch. Ein Pfiff. An dieser Ecke stand also ein Verkehrspolizist auf Dauerposten, dessen Winken ich brav zu folgen, dem ich gehorsam die Fahrpapiere zu reichen hatte, freundlich und tatbewußt.Am besten gleich selbst das Vergehen benennen, nichts beschönigen, aber Gründe anführen, die der schon besänftigte Gesetzeshüter bei sich selbst in mildernde Umstände verwandeln kann. Einen Stempel gab der mir nicht mehr, den Augenblick hatte er verpaßt, zehn Mark, bestenfalls, und wenn er sich auf eine Diskussion einließ, womöglich nur fünf. Was sollte Wachtmeister B. mit einem Straftäter anfangen, der freimütig zugab, diese Strecke öfter zu fahren, der nichts zu seiner Entschuldigung anführte als einen Zustand von »Geistesabwesenheit« und der zu allem Übel eine Frau war? Er konnte mir nur die Papiere zurückgeben, die fast scherzhaft klingende Mahnung anfügen: Aber nie mehr hier wenden! – konnte mit der Hand an der Mütze grüßen und mir gute Fahrt wünschen.
    So konnte es aber nicht weitergehen.
    Es ging nicht so weiter. Im Bistro gab es unfreundliche Kellner, schleppende Bedienung, ich mußte gehen, ohne gegessen zu haben. Aus Erfahrung wußte ich, daß Hunger spätestens nach einer Stunde wieder vergeht. Es wurde dunkel. In einer der finsteren abbruchreifen Straßen hinter dem Alexanderplatz stellte ich auf gut Glück das Auto ab, suchte lange in der falschen Richtung nach dem Kulturhaus, und als ich es endlich fand, war die halbe Stunde, die ich der Veranstaltungsleiterin zugesagt hatte, schon angebrochen. Ich strahlte nicht mehr, aber ein Rest Übermut war geblieben. Übermütigdrängte ich mich durch den Menschenpulk, der die Tür des Kulturhauses blockierte, lachend überzeugte ich die jungen Leute, daß sie mich schon durchlassen müßten, die das dann, ebenfalls lachend, auch taten. An der verschlossenen Eingangstür groß das Schild: AUSVERKAUFT . Links und rechts von der Tür je ein junger Herr. Nun sieh dir das an. Unauffällig kann man das nicht nennen. Die jungen Herren machten keine Umstände, höflich signalisierten sie nach innen, man solle die Tür öffnen. So geschah es. Vier, fünf junge Mädchen und Frauen und zwei junge Herren standen im Flur, um mich höflich zu begrüßen. Eine Falle! dachte ich in meiner übertriebenen Art, während ich ringsum Hände schüttelte, in der Verwirrung einige mehr, als nötig gewesen wäre. CLUB DER VOLKSSOLIDARITÄT las ich auf einem Türschild rechter Hand, und dann wurde ich von einem eilfertigen jungen Mädchen die Treppe hochgeführt, auf eine große Inschrift zu: WACHSTUM – WOHLSTAND – STABILITÄT . Wachstum, Wohlstand, Stabilität las ich mechanisch noch einmal. Wo waren wir hier eigentlich. Ich spürte Lust, mich in diese Frage zu verbeißen, doch war das nicht der Zeitpunkt dafür, ich sah es ein.
    Das Zimmer der Abteilungsleiterin für kulturelle Veranstaltungen, ein Abstellraum für ältere Büromöbel, übertraf an Unwirtlichkeit beinahe jedes andere Bürozimmer, das ich kannte. Drei Uraltplakatean den Wänden halfen der kulturellen Atmosphäre, die die Kollegin K. sich wohl vorstellte, nicht auf. Die Kollegin K. gab vor, sich über meinen Anblick wahnsinnig zu freuen, mir kam sie eher wahnsinnig aufgeregt vor. Sie trug einen grasgrünen Pullover, auf dem genau zwischen ihren beiden Brüsten ein faustgroßes gehämmertes Bronzeschild hing. Ich fragte mich, ob diese Frau vielleicht Brunhilde hieß, aber es hätte mir nicht wirklich genützt, das zu wissen. Dann fing sie zu sprechen an, in einer schnellen, überstürzten Art, die das Schild auf ihrer Brust zum Klirren brachte. Was war mit ihr? Mit wachsendem Erstaunen, dann mit wachsendem Verständnis sah ich ihre Finger auf der Tischplatte umhergreifen, sah, wie ihr Blick sich in die entlegenste Zimmerecke bohrte und begriff: Diese Frau hatte Angst. Die Maßeinheit für die Größe ihrer Angst war das Klirren
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