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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah
Autoren: Martha Grimes
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Abend«, sagte er und entleerte den Sechserpack in die Eiswanne: fünf Bierdosen steckte er um die Popov-Flasche herum, eine stellte er auf das umgedrehte Faß. Sam seufzte und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Ehe er etwas sagte, mußte er sich immer erst seine Zigaretten und Streichhölzer bereitlegen und eine Coors-Dose aufreißen.
    Sobald das erledigt war, machte er es sich auf dem Aluminium-Holzlattenstuhl bequem, legte den Fuß aufs Knie und rieb sich den Knöchel. »Heut steigt da drüben eine Riesenfete«, kommentierte er, hob die Bierdose und leerte sie halb. Dann bot er Maud aus seiner Winstonschachtel eine Zigarette an. Sie lehnten sich zurück und rauchten. »Hab heut schon drüben im Red Barn dazwischengehen müssen«, sagte er. »Paar Kids führten was im Schilde. Dann mußt ich nach Spirit Lake und im Hotel einen Streit schlichten.«
    Sam war seit Jahren Sheriff in La Porte. Er hatte als Hilfssheriff angefangen und war jetzt Leiter des vierköpfigen Polizeireviers. Er war ein gelassener Mensch und sehr beliebt.
    »Ist schon ein verrücktes Kaff.« Maud schüttelte den Kopf. Spirit Lake war ebenfalls ein Ferienort, zwei Meilen entfernt, noch kleiner als La Porte und im Winter sogar noch ausgestorbener. Wenn die Leute schon La Porte für eine Geisterstadt hielten, nun ja, im Vergleich zur gespenstischen Stimmung von Spirit Lake im tiefen Winter war das noch gar nichts.
    »Immerhin, es ist Labor Day. Man kann’s den Leuten nicht verübeln, daß sie feiern wollen«, sagte Sam verständnisvoll. Das war einer der Gründe für seine Beliebtheit; er war sehr tolerant. »Ist Chad gefahren?«
    Maud nickte und sah geradeaus. »Ich wollte ihm schon einen Brief schreiben. Und ich hatte mir schon alles überlegt, aber -«
    »Warum wolltest du ihm schreiben? Er ist doch grade erst gefahren. Um seinen Freund zu besuchen. Hast du doch gesagt, oder? Daß er seinen Freund in Belle Harbor besuchen wollte?«
    Maud kniff die Augen zusammen. Manchmal machte er sie wahnsinnig. »Ich weiß, wo er ist. Mußt du’s mir denn immer wieder sagen?« Gereizt schüttete sie ihren verwässerten Drink in den See und steckte ihr Glas ins Eis. »Ich wollte den Brief nicht abschicken, nur schreiben, das ist alles. Aber darum geht’s gar nicht.«
    »Oh«, sagte Sam.
    Er wartete geduldig darauf, daß sie ihm erzählte, um was es denn ginge, doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, was genau sie empfunden hatte, als sie den Brief zu schreiben versuchte. Ihr frischer Drink schmeckte schal. »Ist ja auch egal«, sagte sie.
    Diese Reaktion irritierte ihn, und er drängte sie weiterzusprechen.
    »Unterbrich mich halt nicht ständig!« Es entstand eine Pause, während deren sie sich jene Gefühle in Erinnerung zu rufen versuchte, die sie beim Schreiben empfunden hatte. Vielmehr beim Versuch zu schreiben. Im Rainbow Café hatte sie sich den ganzen Tag über ihren Streit mit Chad geärgert - es war darum gegangen, wo Chads Geld blieb und auf dem Weg zum Flughafen war keiner von beiden besonders liebenswürdiger Stimmung gewesen. »Und das versteh ich einfach nicht«, sagte sie nun in bezug auf den Brief. »Die Wörter waren alle da, in ordentlichen Reihen, wie Pralinen in der Schachtel. In meinem Kopf waren sie auf jeden Fall. Wie kommt es nur, daß sie einfach nicht den Arm herunter in die Finger und direkt auf die Seite fließen wollten? Ich hab angefangen zu schreiben, und da ist alles verschwunden. Es war gerade so, als wär die Tinte in meinem Hirn eingetrocknet.«
    Sam sagte nichts, doch sie wußte, daß er über das Problem nachdachte. Sam war kein großer Briefeschreiber.
    »Die Wörter sind einfach - geschrumpelt.«
    »Geschrumpelt?«
    »Du weißt schon - kraus geworden an den Rändern. Geschrumpelt. Verbrannt. Versengt.«
    »Hmm.«
    Sie wußte, Sam mußte immer länger über solche Dinge nachdenken. Manchmal sagte er nichts außer einem »Na ja« oder einem »Oh«, aber das war einer der Gründe, warum sie sich gern mit ihm unterhielt. Wenn Sam keine vernünftige Antwort einfiel, gab er keine, und nur selten gab er sich (mit Absicht, wie sie vermutete) begriffsstutzig. Wenn sie aber einmal ihren ganzen Gedanken geäußert hatte und er nichts dazu beitragen konnte, versuchte er normalerweise nicht, ihn herabzuwürdigen, indem er etwas sagte, was andere vielleicht von sich gegeben hätten: »Hab selber ziemliche Schwierigkeiten beim Schreiben« oder »Versuch’s noch mal« oder etwas Ähnliches, das ihrem Problem seine
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