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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah
Autoren: Martha Grimes
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gerissen.
    »Ob es dasselbe ist?«
    »Wie - dasselbe?«
    Sam drehte den Kopf und warf ihr einen seiner langen Blicke zu. »Dasselbe Boot, mein Gott! Du hast gefragt, ob es dasselbe...«
    Maud hatte vergessen, was sie gefragt hatte. »Du nimmst alles so wörtlich.«
    »Du hast’s vergessen, nicht wahr?« Er nahm einen Schluck Bier und lächelte auf jene entnervende Art, wie er es immer tat, wenn er sie bei irgendeiner Kleinigkeit erwischte. »Du hast dagesessen und geträumt und vergessen, was du gesagt hast.«
    Ihr leises Lachen klang sogar in ihren eigenen Ohren künstlich. »Nur, weil du alles so wörtlich nimmst...«
    »Das hat nichts mit Wörtlich-Nehmen zu tun. Willst du noch einen?«
    Sam zerrte die Popov-Flasche aus dem Eis, obwohl er das, wie er wußte, nicht sollte; sie legte ihre Hand auf die seine und stieß die Flasche wieder hinein. Maud schenkte sich ihre Drinks gern selber ein, auf eine ganz bestimmte Weise und zu ganz bestimmten Zeiten.
    Sie hielt ihr Glas ins Licht der Lampe und sagte: »Nun ja, du bist ja heute auch in einer merkwürdigen Stimmung.«
    »Was redest du da für einen Quatsch? Ich hab keine Stimmungen.«
    Da war etwas dran. Oft wußte sie genau, daß er traurig oder durcheinander war, aber er zeigte es nicht. »Klar hast du die. Vor allem, nachdem du deinen Rundgang gemacht und bei uns nach dem Rechten gesehen hast.«
    »Bei uns?«
    Sie schenkte ihm ein geduldiges kleines Lächeln. »Seit Nancy Alonzos Ermordung bewachst du uns. Du meinst es wahrscheinlich gut. Aber es macht mich traurig. Du bist geradezu besessen.«
    Er saß bloß da und gab keine Antwort. Wenn Sam nicht antwortete, wußte sie, daß sie einen Nerv getroffen hatte, und bohrte nicht weiter. »Es war ziemlich schrecklich, was da passiert ist. Aber es ist in Hebrides passiert. Du bist nicht der Sheriff von Elton County, also solltest du dir auch keine Gedanken darum machen.«
    »Es mag in Hebrides passiert sein, aber sie hat in La Porte gewohnt. Und Sedgewick scheint das nicht weiter zu bekümmern.« Sedgewick war der Sheriff von Hebrides, und die beiden Männer hatten nicht viel füreinander übrig.
    Während Sam über Sedgewick und Elton County sprach, schenkte Maud sich einen kalten Martini ein und lauschte der Musik.
    Vom anderen Ufer drangen leise die Klänge eines ganzen Orchesterarrangements herüber und untermalten ihre Gedanken. Es war nur die Musik, aber sie hatte den Text vor langer Zeit auswendig gelernt:
    The morning found you miles away,
    With still a million things to say...
    Maud spürte, wie ihre Kopfhaut kribbelte und spannte, wie ihr die Haare zu Berge standen. Es war genau das Gefühl, von dem die Leute sprachen, wenn sie Angst oder Abscheu empfanden: »Mir standen die Haare zu Berge.« Es war, als seien die Gedanken irgendwie zu groß geworden, als könne der Schädel sie nicht mehr fassen, ein entsetzliches Gefühl, das durch die Arme hinabströmte und sie mit einer Gänsehaut überzog.
    Sie mußte lernen, ihre Phantasie besser in Zaum zu halten. Das Bild ihrer Mutter war hinter einer der verriegelten Türen ihrer Seele hervorgeschlüpft; zumindest glaubte sie, daß sie sie verriegelt hatte. Da war sie nun, die Tür, sie hatte sich einen Spaltbreit geöffnet, und ihre tote Mutter war herausgeschlüpft wie ein Kind, dem man befohlen hat, im Zimmer zu bleiben, schlich durch den Gang und auf Zehenspitzen die Treppe hinab. Und dann verselbständigte sich das Bild, vermengte sich plötzlich mit anderen, wurde unkontrollierbar, und es war, als öffne ihre Mutter unterwegs heimlich andere Türen, Türen, die Maud dummerweise einen Moment lang nicht gesichert hatte. Ihre Mutter ließ die anderen Bewohner heraus: da war der Schemen ihres Vaters (sein Tod lag so lange zurück, daß sie kein klares Bild von ihm haben konnte), da war Tante Sheba mit ihrem schiefen, ironischen Mund, aus dem bissige Kommentare zu kommen pflegten. Resolut marschierte sie die Diele hinab, um Chad abzuholen, Chad im Alter von fünf oder sechs Jahren - Tante Sheba überredete ihn mitzukommen, es gäbe da eine Party, die dürfe man nicht versäumen. Sie versammelten sich alle auf der Treppe, ehe Maud sie in ihre Schranken weisen, sie wieder in ihre Zimmer jagen - hinter ihre Türen schubsen konnte. Da waren sie alle versammelt, hockten auf der Treppe und beobachteten durchs Geländer die extravagante Feier, zu der man sie nicht eingeladen hatte. Die Gäste, die aus dem Haus hinausströmten, aus dem alten Wohnzimmer hinaus auf den Rasen
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