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Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?

Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?

Titel: Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?
Autoren: Richard David Precht
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Schwarzen. Die haben geschrien und gebissen mit ihren großen Eckzähnen.
Aber Flughunde essen doch gar kein Fleisch …?
Nein, die Eckzähne brauchen sie, um Früchte aufzuknacken. Aber was ich eigentlich von dir wissen will: Kannst du dir vorstellen, wie es ist, ein Flughund zu sein?
Ich weiß nicht …
Wenn du deine Dinosaurier-Filme guckst, dann spielst du nachher oft Dinosaurier, oder?
Ja.
Das heißt, du versetzt dich sozusagen in einen Dinosaurier hinein. Du gehst vornübergebeugt und brüllst wie die Dinosaurier im Film. Könntest du dir das Gleiche auch mit einem Flughund vorstellen?
Fliegen schon, Papa. Aber mit den Füßen nach oben an einem Ast zu hängen … Ich weiß nicht. Eigentlich nicht. Dann wäre alles auf dem Kopf. Und Papa, orientieren sich Flughunde eigentlich auch mit Echo, so wie die Fledermäuse?
Die meisten nicht. Nur eine besondere Gruppe: die Rosettenflughunde. Sie erzeugen ihre Echos dadurch, dass sie Klick-Geräusche machen mit der Zunge. Ungefähr so wie Schnalzen. Alle anderen Flughunde aber brauchen keine Echo-Ortung. Sie haben hervorragende Augen und können außerdem phantastisch gut riechen. Eine reife Frucht riechen sie viele Kilometer weit. Kannst du dir das vorstellen, so gut riechen zu können?
Nein, Papa, natürlich nicht.
Tja, siehst du, da haben wir wieder das Problem. Vieles von dem, was Tiere können, können wir uns kaum oder gar nicht vorstellen. Weißt du eigentlich, dass das eine ganz berühmte Frage der Philosophie ist? Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel hat sie gestellt – da war ich zehn Jahre alt –, und sein Aufsatz heißt tatsächlich: » Wie es ist, eine Fledermaus zu sein.«
    Im Jahr 1974 veröffentlichte Thomas Nagel, heute Professor in New York, seinen Aufsatz mit dem Titel: Wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Nagel war allerdings kein Tierforscher, sondern Philosoph. Er wollte nicht ganz genau zeigen, wie Fledermäuse leben, was sie fressen, wie sie sich vermehren und wie sie ihre Echo-Ortung einsetzen. Er wollte wissen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Was geht im Kopf von Fledermäusen vor sich? Sind sie manchmal glücklich oder traurig? Haben Fledermäuse Wünsche? Haben sie Ängste? Kommen sie auf Ideen? Freuen sich Fledermäuse über irgendetwas? Haben sie Stimmungen? Kann eine Fledermaus schlecht gelaunt sein?
    Auf jeden Fall haben auch Fledermäuse Erlebnisse. Aber welche? Fledermäuse sind Säugetiere wie wir Menschen auch. Sie sind nicht so weit von uns entfernt wie Frösche, Spinnen oder Ameisen. Aber können wir uns deshalb vorstellen, wie eine Fledermaus die Welt erlebt?
    Nun, natürlich können wir uns vorstellen, wie man selbst sich fühlen würde, wenn man mit verbundenen Augen und einem Echo-Ortungssystem durch die Nacht fliegen und Insekten jagen würde. Wir können uns das ausmalen, auch wenn das sicher ganz schön schwierig ist. Doch was käme am Ende dabei heraus? – Dass wir eine ungefähre Vorstellung davon hätten, wie es sich für einen Menschen anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Aber wissen wir deshalb irgendetwas darüber, wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein?
    Für Menschen fühlt es sich bestimmt sehr komisch an, schnell im Zickzack zu fliegen, ohne dabei etwas zu sehen. Denn normalerweise tun wir so etwas nicht. Wir gehen eher langsam und mit offenen Augen. Aber für die Fledermaus fühlt sich das Zickzackfliegen sicher ganz normal an und gar nicht komisch. Mücken und Nachtfalter zu essen finden wir gar nicht lecker – die Fledermaus aber isst wahrscheinlich gerne Insekten. Zumindest können wir annehmen, dass sie sich davor nicht ekelt.
    Eine Fledermaus zu sein ist also für Menschen etwas ganz anderes als für eine Fledermaus. Wie es für die Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein, wissen wir nicht. Und Fledermäuse können es sich sicher auch überhaupt nicht vorstellen, wie es ist, ein Mensch zu sein. Zu gehen und das mit offenen Augen! Eine Fledermaus kann zum Beispiel keine Farben sehen. Wie soll sie sich da vorstellen können, wie es ist, Farben sehen zu können?
    Wir stehen also vor einem Rätsel. Wir haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Aber wir können ziemlich sicher sein, dass es sich für die Fledermaus irgendwie anfühlt, sie selbst zu sein. Aber wie genau – das bleibt für uns Menschen für immer ein Geheimnis!
Meinst du, Oskar, Fledermäuse wissen, wer sie sind?
Da muss ich erst einmal nachdenken. Hmmmh, ich glaube
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