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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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sie all jene von der Feier ausschließen, die dem »veralteten welsch-jüdisch-weibischen« Denken verhaftet sind. Im Garten des Gasthauses »Zum deutschen Blitz« entwickelt sich bald »ein echtdeutsches« Treiben. »Unbeschreiblichen Jubel« erregt »das neueste deutsche Trutzlied ›Wenn Wanzenvölker uns bedrohen‹«. Einige tschechische und slowenische Lümmel in der Nähe, die frech grinsten, werden »in gebührender Weise bestraft«. Nach einer weiteren, für den 2. Oktober 1939 erdachten Meldung des ebenso erdachten Blattes Wiener Deutsche Zeitung reagiert die deutsche Staatsführung auf antideutsche Unruhen der slawischen Bevölkerung in Prag, Zagreb und Ljubljana harsch und erklärt: Das Maß sei nun voll, Härte geboten und eine kriegerische Strafaktion überfällig, »um endlich dauernde Ordnung und Beruhigung zu schaffen«. Als Grund werden in Lichtenstaedters Geschichtsvorhersage die »jüngsten blutigen Vorfälle« genannt, begangen von einem »unwissenden, betörten slawischen Pöbelhaufen«. »Wer Wind sät, wird Sturm ernten«, erklärt die Reichsregierung und weist zur allgemeinen Beruhigung darauf hin, die Strafaktion werde »die freundschaftlichen Beziehungen« mit Russland nicht beeinträchtigen.
    Ebenso treffsicher saß der letzte Text im zweiten Band der Jahrhundertprognose von 1903. Demnach zieht am 1. Oktober 1945 ein »russischer Kommissär für die Verwaltung der befreiten westslawischen Länder« in Prag ein. Dort erlässt er am 1. Januar 1946 das »Toleranzedikt für die befreiten westslawischen Länder« – nach Paragraph 3 ist der Schulunterricht in allen befreiten westslawischen Ländern künftig auf Russisch abzuhalten. [289]

    Vier Jahre nach Bettauers »Die Stadt ohne Juden« erschien Lichtenstaedters Buch »Antisemitica – Heiteres und Ernstes, Wahres und Erdichtetes«. Es enthält Tagesbeobachtungen und Possen. Eine Geschichte heißt »Wenn eine jüdische Ahnfrau Bismarcks entdeckt werden wird«; eine andere handelt von einer »Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«, die das Publikum an prominenter Stelle darüber belehrt, »dass die Trunksucht im 19. Jahrhundert nur die Schuld der Juden« war. Jüdische Händler hätten Wein zu Markte getragen, jüdische Bankiers Kredite zum Bau von Bierbrauereien gegeben und jüdische Geschäfte Humpen, Krüge und Kannen verkauft. Nicht zuletzt hätten jüdische Möbelgeschäfte »in der skrupellosesten Weise die zum Kneipen unentbehrlichen Tische, Bänke und Stühle« geliefert. [290]
    Lichtenstaedter setzte das Erscheinungsjahr dieser Kulturgeschichte auf 1999 an – und irrte. Vom Zeitpunkt seiner Prognose 1926 dauerte es nur noch zwölf Jahre, bis der aufstrebende, nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland schulbildende Sozialhistoriker Werner Conze wissenschaftlich feststellte: »Der Name des Führers« sei »bis in die entlegensten« von Weißrussen besiedelten Dörfer Polens gedrungen, »vor allem wegen seiner klaren Politik in der Judenfrage, die der arme weißrussische Bauer ja selbst täglich zu spüren bekommt«. Denn »was der Gutsherr dem Bauern ließ, zog ihm der Jude aus der Tasche«. Folglich konnte der weißrussische Bauer »nur dumpf und elend dahinvegetieren« und sich mit dem »Schnaps des Dorfjuden« betäuben. [291] Gefördert hatte Conzes Zugewinn an derartiger wissenschaftlicher Erkenntnis die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
    Die wichtigste Satire der Lichtenstaedter’schen »Antisemitica« heißt »Der jüdische Gerichtsvollzieher«. [292] Sie führt nach Anthropopolis, eine Stadt mit 200 000 Einwohnern, davon knapp 2000 Juden. Eines Tages muss der Posten des Gerichtsvollziehers neu besetzt werden – der einzige nicht nur in Anthropopolis, sondern in ganz Anthropopolitanien. Erstmals geht das Amt an einen Juden. Unruhe kommt auf. »Mit Fug und Recht« verweisen die Leute darauf, dass die Gerichtsvollzieherei nun zu hundert Prozent in jüdischen Händen liegt, während die Juden nur ein Prozent der Einwohner stellen. Nach der Verfassung sind die Juden gleichberechtigt. Jawohl! Nun genießen sie jedoch, wie selbst der Rechenschwächste herauszufinden meint, »hundertfach höhere Rechte«. Falsch! Die Mathematiker der Stadt erinnern daran, »dass die arische Bevölkerung mit 0 – sage und schreibe null – vertreten ist und dass die Zahl 1 dividiert durch 0 keineswegs 100, sondern die Unendlichkeit« ergibt. Demnach sind die Juden »in einem wahrhaft unendlichen Maße bevorzugt«, die Arier Opfer
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