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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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Emin oder Ne’man.
    Der Autor pfefferte seine Texte mit bayerischer Possenlust und akademisch geschliffener Polemik. Seine Erzähler schlüpften in Dutzende Rollen. Mal spielten sie den britischen Journalisten in der muselmanischen »Unkultur«, dann den russischen Minister Skrupelloswo oder den erotomanen französischen Diplomaten, nicht zuletzt den deutschen Antisemiten, frisch aus dem Münchner Alltag gegriffen. Nach einer langen assimilatorischen Phase nahm Lichtenstaedter in den 1920er-Jahren wieder am Kulturleben der Jüdischen Gemeinde München Teil. Wiewohl überzeugter Vegetarier, stritt er jahrelang gegen den Münchner Tierschutzverein, der das Verbot des Schächtens forderte. Immer wieder setzte er sich kritisch mit dem Zionismus auseinander. Statt zur Auswanderung riet er zu religiös fundiertem »jüdischem Stolz« und »jüdischer Eigenart«.
    Ungeschrieben blieb sein Buch »Das törichte Israel«, weil er 1935 die Zeiten für »so schwer und traurig für die deutsche Judenheit« hielt, dass sich »die zügellose Befriedigung der Spottlust verbot«. [285] Von 1933 an trat Lichtenstaedter dafür ein, dass möglichst viele Juden Deutschland verlassen und nicht nur nach Palästina emigrieren sollten. Aus Gründen des Überlebens gelte es, »den Strom der Auswanderer in möglichst viele Betten zu leiten«. »Stumpfsinniges oder resigniertes Beharren auf einem unhaltbaren Platze« schloss Lichtenstaedter aus, da es um die Rettung der Judenheit aus einer lebensbedrohlichen Situation gehe. »Gebe Gott«, schrieb er 1937, »dass es nicht zu spät sei!« [286]
    In den Jahren 1901 und 1903 hatte er das zweibändige Werk »Das neue Weltreich – Ein Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts« veröffentlicht. Für das Jahr 1910 kündigte er darin die Landung italienischer Truppen in Tripolis an und zur selben Zeit einen heftigen Krieg auf dem Balkan, diesem »Wetterwinkel Europas«, wegen der ungelösten mazedonischen und albanischen Frage. Dabei werde dem christlichen Bulgarien und dem christlichen Griechenland eine besondere Rolle im Kampf gegen die Türkei zukommen. Aus Sofia zitierte er die fiktive Zeitung Volksstimme, »ein weitverbreitetes Blatt«, das früh schon den »feurigen Ruf« erhoben habe, den türkischen »Feind aus den gesitteten Fluren Europas« zu werfen. Wenig später, am 12. Januar 1910, würden nach Lichtenstaedters Geschichtsprognose Wortfetzen wie diese aus der griechischen Deputiertenkammer schallen: »›Unverjährbare Rechte‹ – ›Hellenismus‹ – ›Vaterland‹ – ›unterdrückte Brüder‹ – ›Barbaren‹ – ›Freiheit‹ – ›Tod‹.« [287]
    Tatsächlich besetzten italienische Truppen Tripolis nicht 1910, sondern 1911. Kurz darauf annektierte Italien das heutige Libyen formell. 1912 und 1913 fanden der Erste und der Zweite Balkankrieg statt. Das griechisch-annektionistische Streben richtete sich in jenen Jahren gegen die Türkei, gegen Bulgarien und Albanien. Friedensinitiativen nützten wenig, und der deutsche Gesandte in Athen teilte mit, dass sich griechische Freischärler weiterhin »gegen die mohammedanische Bevölkerung die unerhörtesten Grausamkeiten haben zuschulden kommen lassen und die unglücklichen Mohammedaner in Massen niedermetzelten«. [288]

    Für 1912 erfand Lichtenstaedter ein »grauenvolles«, von Muselmanen an Armeniern angerichtetes Blutbad in der ostanatolischen Stadt Erzurum. Im Hintergrund malte er die massive britische und russische Unterstützung für den armenischen Nationalismus aus und zeigte, wie der Großgruppenhass von den an Teilen des Osmanischen Reiches interessierten Mächten angestachelt wurde. Für das Jahr 1919 prognostizierte er eine »Proklamation der provisorischen serbischen Regierung an das Volk«. Darin appelliert die nationale Revolutionsregierung an alle Serben, sich »des großen serbischen Namens würdig zu erweisen, der Welt zu zeigen, dass das serbische Volk nicht gewillt ist, sein Wirken als mächtiger Kulturfaktor auf der Balkanhalbinsel aufzugeben«.
    Für 1939 kündigte Lichtenstaedter in seiner Geschichtsvorhersage den Artikel einer Zeitung an, die er Ostdeutsche Rundschau (Wien) nannte und im mit Deutschland vereinigten Österreich erscheinen ließ. Unter dem Datum vom 23. Juni 1939 erfand er einen Bericht dieser Zeitung über eine »herrliche Sonnwendfeier der Deutschen Hochschülerschaft« in der Nähe von Wien. Die Studenten sind von »deutsch-volklichem Gefühl durchdrungen«, und zwar so stark, dass
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