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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Autoren: Theodor Fontane
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unglaublichste gehandelt hätte.
     
    *
     
    Während dies Gespräch noch andauerte, hatten wir einen Punkt erreicht, wo der über die Wiese führende Weg ein Ende zu haben schien, bis wir zuletzt, bei schärfrem Hinsehn, eines Fußpfades gewahr wurden, der sich, zwischen allerlei Gestrüpp hin, in einer schmalen Schlängellinie fortsetzte. War das unser Weg? Ein Versuch schien wenigstens geboten, und siehe da, keine hundert Schritt und wir hatten es und standen an der Grabstelle, die, seitab und einsam im Schatten gelegen, denselben düstren Charakter zeigte, wie das Leben, das sich hier schloß. Auch eine pietätvolle Wiederherstellung der durch viele Jahre hin vernachlässigten Stelle, hat an diesem Eindruck nichts ändern können. Ein Eisengitter zwischen vier Steinpfeilern schließt das Grab ein, das zwei Grabsteine trägt: einen abgestumpften Obelisken aus älterer und einen pultartig zugeschrägten Marmor aus neurer Zeit. Auf dem abgestumpften Obelisken fanden wir ein Häuflein Erde, darin eine sinnige Hand, vielleicht keine Stunde vor uns, einen Strauß unterwegs gepflückter Feldblumen eingesetzt hatte. Zu Füßen des Obelisken aber, auf dem zugeschrägten Marmorsteine, stand das folgende:
     
    Heinrich von Kleist
    Geb. 10. Oktober 1776,
    gest. 21. September 1811.
     
    Er lebte, sang und litt in trüber, schwerer Zeit,
    Er suchte hier den Tod und fand Unsterblichkeit.
     
    Die Tochter las die Verse laut und ob es nun die Nähe des Grabes oder vielleicht auch nur die Verlegenheit war, in die so viele Menschen geraten, wenn sie Verse hören (ein Rest von Respekt vor dem alten Propheten-und Bardentum), gleichviel, alles im Kreise wurde still und diese Stille wirkte wie Huldigung und Gebet.
    Erst der Rattenpinscher, dem die Szene zu lange dauern mochte, gab uns durch einen dreimaligen Unmutsblaff unsren Augenaufschlag und gleich danach auch unsre Bewegung wieder und denselben Schlängelpfad entlang, auf dem wir gekommen waren, schritten wir nunmehr auf die draußenliegende Waldwiese zurück.
     
    *
     
    Neben der Tochter ging jetzt ein in dem doppelten Abhängigkeitsverhältnis von Geschäft und Liebe stehender junger Mann und versuchte das auf dem Hinweg unterbrochene literarische Gespräch wieder aufzunehmen. Er begann mit Heinrich von Kleists Käthchen, das alle sonderbarerweise kannten, und gebrauchte dabei den Ausdruck »holdseliges Geschöpf«.
    Aber darin versah er es durchaus und Anna, die das Prinzip der »Erziehung von Anfang an« aller Wahrscheinlichkeit nach von der Mutter adoptiert hatte, replizierte scharf: »Ich weiß nicht, Herr Behm, was Sie so nennen. Ich find' es bloß unnatürlich, immer so nachlaufen und sich alles gefallen lassen. Und es verdirbt bloß die Männer, die schon nichts taugen.«
    Er wollte mit Nachdruck und Wärme das Gegenteil versichern, aber die Mutter trat peremtorisch dazwischen und sagte: »Recht, mein Anneken... Ja, Herr Behm, Anna hat recht.«
    Und nun waren wir wieder an der Stelle, wo der Weg sich teilte, weshalb ich meinen Hut zog und mich aufs artigste verabschiedete. Nichtsdestoweniger konnt' ich, rückblickend, an Blick und Gesten unschwer erkennen, daß die Meinungen über mich schwankend und nur die der Mutter zu meinen Gunsten waren. Was mich allerdings über den endlichen Ausgang der Sache beruhigte.
    Bald danach, als ich einen höher gelegenen Punkt erreicht hatte, hielt ich noch einmal an und überschaute das vor mir ausgebreitete, landschaftliche Bild. Nach Westen hin lagen Fluß und Wald in einem goldenen Abendschimmer und Villentürme, Kiosks und Kuppeln wuchsen daraus empor. Alles was ich sah, war Leben, Reichtum, Glück. Und daneben gedacht' ich des Dichtergrabes, das einsam ist, trotz der Neugier, die jetzt tagtäglich nach ihm pilgert. Aber ich gedachte zugleich auch der unbekannten Hand, die vor wenig Stunden erst einen Feldblumenstrauß in jenes Häuflein Erde gepflanzt hatte und getröstete mich: »Eine Hand voll Liebe besiegt jedes Geschick.«
     
3. Die Kirche zu Stolpe
    Stolpe, Stolpeken oder Wendisch-Stolpe, scheint – so schreibt Berghaus, dem ich die Verantwortung dafür zuschiebe – das am frühesten in unserer Landesgeschichte genannte Teltowdorf zu sein. 1197. Es war eine wendische Besiedlung, auf der sich bis diesen Tag zahlreiche Totenurnen vorfinden. Im übrigen gedeiht hier, und zwar in besonderer Vortrefflichkeit, die Teltower Rübe, nachdem die Bevölkerung jahrhundertelang vorwiegend von Fisch- und Honigfang gelebt hatte. Die Lage
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