Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan
Autoren: Strindbergs Stern
Vom Netzwerk:
öffnen dürfen. Als sie zuschlugen, verschwanden
das Hakenkreuz und die Dolche der Schutzstaffel in der Dunkelheit, und Don
wünschte sich, dass sie für immer verschwunden bleiben würden.
    »Siz nisht
dayn gesheft, mayn nachesdik kind«, flüsterte Bube. »Du hättest niemals all
diese Trauer in dir tragen dürfen.«
    Im selben
Augenblick war es ; als löste sich ein Griff um seinen Hals, eine
erstickende Schlinge, die endlich losgeschnitten wurde.
     
    Als sie
die Mündung des Tunnels erreichten, wurden die Flügel der Lichtgestalt wie in
einem Vakuum nach unten gesogen. Für einen kurzen Augenblick wurden Don und
Elena in die Tiefe zurückgedrängt, und Don befürchtete, dass sie niemals mehr
herausgelassen werden würden. Elenas Körper stürzte ihm entgegen, und als sie
zusammenstießen, blieb ihm die Luft weg. Doch dann blies der Polarwind herein
und verlieh den Flügeln Auftrieb, und plötzlich schwebte die Gestalt mit ihnen
hinauf in die Freiheit und über die Weiten des Eises hinweg.
    Der
Schneesturm hatte sich offensichtlich längst gelegt, und als Don nach oben in
Richtung des samtenen schwarzen Firmaments blickte, sah er die nebligweiße
Wölbung der Milchstraße. Der Himmelskörper, der heller als alle anderen
schien, war der Polarstern, der mit seinem blinkenden Licht immer näher kam.
    Doch je
weiter die Gestalt sie vom Tunnel weg in die Lüfte hob, desto mehr schien sie
an Kraft zu verlieren. Ihr strahlender Glanz verblasste langsam, bis fast nichts
mehr davon zu sehen war, und Don einen letzten Ruck der Handschellen verspürte.
    Dann
wurden Elena und er losgelassen und fielen aneinandergekettet aus der Aura
hinunter, die sich nun langsam auflöste. Don sah, wie Elenas Camouflagejacke im
Wind flatterte, als sie darum kämpfte, das Gleichgewicht zu halten.
    Er selber
stürzte mit einem Gefühl kindlicher Zufriedenheit vom Himmel herab. Während der
wenigen Sekunden, in denen er fiel, verschwand sein Herzrasen, und die innere
Ruhe, die ihn erfüllte, erstreckte sich jenseits von Zeit und Raum.
    Doch dann
wurde das Funkeln des Polarsterns in eine Wolke aus aufwirbelndem Schnee
gehüllt. Der starke Wind hatte sie in Schräglage landen lassen, woraufhin sie
wie Bälle über das Eis hüpften.
    Don
spürte, wie Elenas Arme ihn hielten und seinen Aufprall abfederten. Bis sie
schließlich auf einer spiegelglatten Fläche entlangglitten, die an poliertes
Glas erinnerte.
    Als sie
langsam austrudelten und alles still wurde, sank Don keuchend auf den Rücken.
Neben ihm lag Elena, und er hörte, wie sie ebenfalls nach Luft schnappte. Dann
beruhigten sich ihre Atemzüge langsam. Sie lagen dicht nebeneinander unter
einem weit entfernten Universum.
     
    Don
blinzelte in Richtung des Polarsterns und dachte, wie ähnlich er dem Lichtstrahl
doch war, den er über Nils Strindbergs weißem Kreuz hatte aufleuchten sehen.
Dann löste er den Schulterriemen seiner Tasche und begann aus Gewohnheit darin
zu kramen.
    Doch als
er zwischen Döschen und Kanülen herumfingerte, kamen ihm unerwartet Zweifel. Don
atmete tief durch und beschloss, das Risiko einzugehen, für eine Weile in so
etwas wie einem Normalzustand zu verharren.
    Die
Sterne, die dort über ihm am Himmel standen, würden vermutlich nicht einmal
eine Droge wie Amphetamin klarer erscheinen lassen können. Und die Ruhe, die
er in diesem Moment in seiner Brust verspürte, hätte er in einem
Stesolidrausch niemals erlebt.
     
    Elena lag
da und lauschte dem rauschenden Wind, und durch die aneinandergeketteten Hände
hindurch spürte sie die Wärme, die von Don ausging. Sie fragte sich, ob er dort
unten ebenfalls ihre Mutter gesehen hatte oder ob ihm in der Sonne der
Unterwelt jemand ganz anderes erschienen war.
    Die
Lichtgestalt, die ihr das Kreuz abgenommen hatte, hatte es ihr zuliebe getan.
Hinter der Sonnenscheibe gab es also etwas zu sehen, für das ein lebender
Mensch noch nicht bereit war.
    Die
frostige Luft und das Eis unter ihr sorgten dafür, dass sich alles behaglich
und weich anfühlte. Elena konnte sich vorstellen, unendlich lange hier liegen
zu bleiben, zum Sternenhimmel hinaufzublicken und die Zeit an sich
vorbeiziehen zu lassen.
    Zum ersten
Mal seit ihrer Kindheit würde keiner an sie herantreten und irgendwelche
Antworten von ihr verlangen. Wenn das Ende der Zeit gekommen wäre, würde sie es
vielleicht erfahren, doch jetzt konnte sie einfach die Ruhe hier genießen.
     
    Vom Winde verweht
     
    Don
spürte, wie sein Arm an den Handschellen mitgezogen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher