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Wallander 08 - Die Brandmauer

Wallander 08 - Die Brandmauer

Titel: Wallander 08 - Die Brandmauer
Autoren: Henning Mankell
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Schlußbild erinnert, als der Junge neben dem Körper seiner toten Schwester kniete und weinte. Von dem, was nachher passiert war, wußte Wallander nicht viel. Außer daß der Junge natürlich nicht im Gefängnis gelandet war, sondern in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt.
    Jetzt rief Anette Fredman an, um ihm zu sagen, daß Stefan tot war. Er hatte sich das Leben genommen, indem er sich von dem Gebäude hinabgestürzt hatte, in dem er eingeschlossen gehalten worden war. Wallander hatte ihr sein Beileid ausgesprochen und irgendwo in seinem Inneren eine ganz eigene Trauer verspürt. Vielleicht war es auch nur ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und |17| Verzweiflung. Aber er hatte nicht verstanden, warum sie ihn eigentlich angerufen hatte. Er hatte mit dem Telefonhörer in der Hand dagestanden und versucht, sich ihr Aussehen in Erinnerung zu rufen. Er war ihr zwei- oder dreimal begegnet, in einem Vorort von Malmö, als sie nach Stefan fahndeten und sich an den Gedanken zu gewöhnen versuchten, daß ein Vierzehnjähriger diese brutalen Gewaltverbrechen begangen haben könnte. Wallander erinnerte sich daran, wie scheu sie gewirkt hatte und unter welch starkem Druck sie gestanden haben mußte. Sie hatte etwas Gehetztes an sich gehabt, als fürchtete sie die ganze Zeit, daß das Schlimmste geschehen würde. Was dann ja auch der Fall gewesen war. Wallander erinnerte sich vage, daß er sich gefragt hatte, ob sie süchtig war. Vielleicht trank sie zuviel, oder sie betäubte ihre Ängste mit Tabletten. Außerdem fiel es ihm schwer, sich ihr Gesicht vorzustellen. Die Stimme, die ihm aus dem Hörer entgegenkam, war ihm fremd.
    Dann hatte sie ihr Anliegen vorgebracht.
    Sie bat ihn, zur Beerdigung zu kommen. Weil fast niemand sonst dabei wäre. Nur sie und Stefans kleiner Bruder Jens waren noch übrig. Wallander war trotz allem ein freundlicher Mann, der es gut mit ihnen gemeint hatte. Er versprach zu kommen. Und bereute es sogleich. Aber da war es schon zu spät. Hinterher hatte er versucht herauszufinden, was mit dem Jungen eigentlich passiert war, nachdem sie ihn gefaßt hatten. Er sprach mit einem Arzt in der psychiatrischen Anstalt, in der Stefan untergebracht worden war. In den Jahren nach der Einweisung war Stefan fast ganz verstummt und hatte alle seine inneren Türen geschlossen. Aber Wallander erfuhr, daß der Junge, der tot auf dem Asphalt gelegen hatte, Kriegsbemalung getragen hatte. Farben und Blut hatten sich zu einer schreckenerregenden Maske vermischt, die vielleicht mehr über die Gesellschaft erzählte, in der Stefan gelebt hatte, als über seine gespaltene Persönlichkeit.
    Wallander fuhr langsam. Als er am Morgen den dunklen Anzug angezogen hatte, war er erstaunt, daß die Hose paßte. Er hatte also abgenommen. Seit er vor zwei Jahren erfahren hatte, daß er zuckerkrank war, hatte er seine Eßgewohnheiten geändert, Sport getrieben und auf sein Gewicht geachtet. Anfangs war er im Übereifer |18| mehrmals am Tag auf die Waage gestiegen, bis er sie schließlich wütend fortgeworfen hatte. Wenn er es nicht schaffte, auch ohne ständige Kontrolle abzunehmen, konnte er es ebensogut bleibenlassen.
    Doch der Arzt, den er regelmäßig besuchte, hatte nicht nachgegeben, sondern Wallander eindringlich ermahnt, seine nachlässige Lebensweise mit unregelmäßigen und ungesunden Mahlzeiten und ohne die geringste Dosis Bewegung aufzugeben. Schließlich hatte es gewirkt. Wallander hatte sich einen Trainingsanzug und ein Paar Turnschuhe gekauft und angefangen, regelmäßige Spaziergänge zu machen. Als Martinsson vorschlug, gemeinsam joggen zu gehen, hatte Wallander sich jedoch brüsk geweigert. Es gab eine Grenze, und für ihn hörte der Spaß beim Joggen auf. Jetzt hatte er sich eine Runde von einer Stunde zurechtgelegt, die von der Mariagata durch Sandskogen und zurück führte. Mindestens viermal die Woche zwang er sich dazu, sie zu gehen. Seine Besuche bei verschiedenen Fast-Food-Lokalen hatte er auch eingeschränkt. Und sein Arzt hatte einen Fortschritt erkannt. Der Blutzuckerspiegel war gesunken, und Wallander hatte abgenommen. Eines Morgens beim Rasieren hatte er außerdem festgestellt, daß sich sein Aussehen verändert hatte. Seine Wangen waren eingefallen. Es war ihm vorgekommen, als sehe er sein wirkliches Gesicht zurückkehren, nachdem es lange Zeit unter unnötigem Fett und schlechter Haut verborgen gewesen war. Seine Tochter Linda war angenehm überrascht, als sie ihn gesehen hatte. Nur im
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