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Wallander 08 - Die Brandmauer

Wallander 08 - Die Brandmauer

Titel: Wallander 08 - Die Brandmauer
Autoren: Henning Mankell
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all die Macht, an der er teilhatte. Das Gefühl, einer der Auserwählten zu sein. Die über die Kraft verfügten, alte versteinerte Wahrheiten zu Fall zu bringen und ganz neue und unerwartete zu erschaffen.
    Er blieb stehen und schaute zum Sternenhimmel auf.
    Nichts ist wirklich faßbar, dachte er. Mein eigenes Leben ebensowenig wie die Tatsache, daß das Licht der Sterne, die ich jetzt sehe, schon eine unendliche Zeitspanne hierher unterwegs gewesen ist. Das einzige, was dem Ganzen eine Spur von Sinn geben kann, ist das, was ich tue. Das Angebot, das ich vor fast zwanzig Jahren bekommen und angenommen habe, ohne zu zögern.
    Er ging weiter, jetzt schneller, weil ihn die Gedanken erregten, die sich in seinem Kopf entwickelten. Er merkte, daß er ungeduldig geworden war. Sie hatten so lange gewartet. Endlich näherten sie sich dem Augenblick, wo sie ihre unsichtbaren Visiere herunterklappen und ihre große Flutwelle über die Erde hinwegrollen sehen würden.
    Doch noch war der Augenblick nicht gekommen. Noch war die Zeit nicht reif. Ungeduld war eine Schwäche, die er sich nicht erlauben durfte.
    Er hielt inne. Er befand sich schon mitten im Villenviertel. Weiter wollte er nicht gehen. Kurz nach Mitternacht wollte er im Bett liegen.
    |12| Er machte kehrt und ging langsam zurück. Als er das Finanzamt hinter sich gelassen hatte, entschloß er sich, zum Bankomat an einem der Kaufhäuser hinüberzugehen. Er tastete mit der Hand nach seiner Brieftasche. Er wollte kein Geld abheben. Aber er wollte sich einen Kontoauszug ausdrucken lassen, um sicherzugehen, daß alles seine Ordnung hatte.
    Er blieb im Licht vor dem Geldautomaten stehen und zog seine blaue Scheckkarte hervor. Die Frau mit dem Schäferhund war jetzt verschwunden. Aus Richtung Malmö kommend, donnerte ein Laster vorbei. Wahrscheinlich wollte er mit einer der Fähren nach Polen. Dem Lärm nach zu urteilen war der Auspuff defekt.
    Er gab seine Geheimnummer ein und drückte anschließend auf die Taste Kontoauszug. Die Karte kam wieder heraus, und er steckte sie zurück in die Brieftasche. Im Innern des Geldautomaten ratterte es. Er lächelte, als er daran dachte, kicherte.
    Wenn die Menschen wüßten, dachte er. Wenn die Menschen wüßten, was sie erwartet.
    Der weiße Zettel mit dem Kontoauszug wurde durch den Spalt herausgeschoben. Er suchte nach seiner Brille, doch ihm fiel ein, daß sie in dem Jackett steckte, das er getragen hatte, als er zum Sportboothafen gegangen war. Einen Moment lang ärgerte er sich darüber, daß er sie vergessen hatte.
    Er suchte die Stelle, wo das Licht der Straßenlaterne am hellsten war, und betrachtete blinzelnd den Kontoauszug.
    Die automatische Überweisung vom Freitag war verbucht. Ebenso die Barauszahlung vom Tag zuvor. Sein Guthaben betrug 9765   Kronen. Alles in bester Ordnung.
    Was dann geschah, kam ohne jede Vorwarnung.
    Ihm war, als habe ein Pferd ihn getreten. Ein ungeheurer Schmerz durchfuhr ihn.
    Er fiel vornüber, die Hand krampfte sich um den Zettel mit den Zahlen.
    Als sein Kopf auf dem kalten Asphalt aufschlug, erlebte er einen Augenblick der Klarheit.
    Sein letzter Gedanke war, daß er nichts begriff.
    Dann wurde er von einem Dunkel umschlossen, das von allen Seiten gleichzeitig kam.
    |13| Mitternacht war gerade vorüber. Es war Montag, der 6.   Oktober 1997.
    Ein weiterer Lastzug fuhr auf dem Weg zur Nachtfähre vorüber.
    Dann war alles wieder still.

|14| 2
    Als Kurt Wallander sich in der Mariagata in Ystad in seinen Wagen setzte, war ihm beklommen zumute. Es war kurz nach acht am Morgen des 6.   Oktober 1997.   Während er aus der Stadt hinausfuhr, fragte er sich, warum er nicht abgelehnt hatte. Er hegte einen tiefen und intensiven Widerwillen gegen Beerdigungen. Dennoch war er jetzt zu einer solchen unterwegs. Weil er noch viel Zeit hatte, beschloß er, nicht den direkten Weg nach Malmö zu nehmen. Er bog statt dessen auf die Küstenstraße in Richtung Svarte und Trelleborg ab. Zu seiner Linken lag das Meer. Eine Fähre lief gerade ein.
    Er dachte, daß dies die vierte Beerdigung in sieben Jahren war. Zuerst war sein Kollege Rydberg an Krebs gestorben. Es war eine langwierige und quälende Krankheitszeit gewesen. Wallander hatte ihn oft im Krankenhaus besucht, in dem er dahinsiechte. Rydbergs Tod war für Wallander ein schwerer Schlag. Es war Rydberg gewesen, der einen Polizisten aus ihm gemacht hatte. Er hatte Wallander gelehrt, die richtigen Fragen zu stellen. Mit Rydbergs Hilfe hatte Wallander sich
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