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Wall Street Blues

Wall Street Blues

Titel: Wall Street Blues
Autoren: Annette Meyers
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und Beherrschung, zum erstenmal, seit sie Barrys Leiche vor einer Woche aus der Telefonzelle hatte gleiten sehen.
    Metzger musterte sie eine Weile zweifelnd, dann nickte er.
    Die Gruppe ging hinaus, Roberta in Handschellen, mit hängendem Kopf, auf beiden Seiten von einem Polizisten gestützt. Strähnen des kupferfarbenen Haars verbargen ihr Gesicht. Jake folgte auf einen Sanitäter gestützt. »Alles Gute, Jake«, sagte Wetzon.
    »Mich kriegt man nicht so leicht klein, Leslie Wetzon«, sagte er. »Ich komme wieder.«
    Die Außentür schloß sich. Die plötzliche Stille wirkte einschläfernd. Wetzon blieb an Harolds Tisch sitzen und verlor ihr Zeitgefühl.
    Das Telefon läutete. Läutete wieder. Ihre Hand langte vor und hob ab. »Smith und Wetzon«, sagte sie.
    »Hallo, Tag, Wetzon. Ich bin froh, daß Sie noch da sind. Ich muß mit Ihnen reden.«
    »Wer...« Warum zum Teufel gehst du ans Telefon, Wetzon?, dachte sie.
    Die Frau plapperte weiter. »Ich hatte heute wirklich ein gutes Gespräch mit Alex Brown«, sagte sie.
    Amanda. »Das ist aber schön, Amanda.« Wetzon freute sich für sie. »Wann fangen Sie an?«
    »Na ja, darüber wollte ich ja mit Ihnen sprechen, Wetzon. Ich habe dort gesagt, daß ich mich wieder melde. Warum soll ich schließlich gleich beim ersten Angebot zugreifen? Meinen Sie nicht auch, ich sollte mir noch andere Firmen ansehen? Ich möchte gern mit Pru-Bache sprechen. Ich habe gehört, daß sie am meisten bieten...«
    Wenn du an bißchen Grips hättest, würdest du sofort auflegen, sagte sich Wetzon. Sie hätte es verdient. Statt dessen sagte sie: »Können wir das morgen früh besprechen, Amanda?«
    »Klar, ich bin den ganzen Tag frei. Rufen Sie mich an, sobald Sie die Termine ausgemacht haben. Ciao, Wetzon.« Sie legte auf.
    Nicht einmal ein Dankeschön, dachte Wetzon. Sie legte den Hörer auf, ging in die Toilette und wusch ihr Gesicht gründlich mit kaltem Wasser. Ihre Schuhe waren mit Blut bespritzt, und sie wischte sie oberflächlich mit einem nassen Handtuch ab. Sie waren hin. Vielleicht würde es im Caravanserie so dunkel sein, daß es niemand bemerkte. »Auf denn«, sagte sie zu ihrem bleichen Spiegelbild, als sie hastig ihr Haar wieder hochsteckte. Sie sah wie ein Geist aus. Sie konnte nichts dagegen tun.
    Sie zog ihre Handtasche und Aktentasche unter dem Schreibtisch vor.
    Sie warf einen langen letzten Blick ins Büro und riß sich mit Gewalt los. Sie hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie war spät dran.

A n der Ecke First Avenue und 49. Street saß eine gut gekleidete Frau auf einem Koffer und sang aus vollem Herzen. Nur wenige Leute blieben bei ihr stehen. Man war schließlich in New York.
    Wetzon atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und winkte einem Taxi. Sie wollte so schnell wie möglich von dem Irrsinn wegkommen, den sie eben erlebt hatte. Es war beinahe vorbei. Sie mußte diese eine Sache noch erledigen, das Tüpfelchen auf das i setzen, Silvestri die Bänder übergeben und einen Schlußstrich unter diesen Alptraum ziehen. Nur ein kleines bißchen noch.
    Die Menge, die an diesem frühen Abend ins Caravanserie ging, war geschäftsmäßig gekleidet, auch die Frauen. Es war ein Kongreß der grauen Nadelstreifen. Das gehörte sich auch so; es war der Wall-Street-Abend.
    Die Welt der Wall Street unterschied sich nicht von der anderer Berufe: Es gab eine Tracht, die dazu beitrug, die konservative Aura zu schaffen, und die aussagte: »Wir kümmern uns zuverlässig um Ihr Geld. Vertrauen Sie uns.«
    Sie erinnerte sich an Harvey Inman, einen Effektenmakler, den sie in ihrem ersten Jahr als Personalberaterin kennengelernt hatte. »>Vertrauen Sie mir<«, hatte er ihr im Spaß gesagt, »ist eigentlich eine Chiffre für >Leck mich am Arsch<.«
    Wetzon fühlte sich schwach und unkonzentriert. Alles war voller Blut gewesen. Sie wäre beinahe ermordet worden. Jake Donahue hatte schwere Schnittverletzungen erlitten. Sie wußte nicht, ob sie das hier durchstehen würde. Ihr Kopf begann zu hämmern, als sie an dem kleinen Tisch gleich hinter dem Eingang zum Caravanserie ihre Einladung und ihre Geschäftskarte mit sechs Dollar vorlegte.
    Sie folgte dem Menschenstrom in den Raum mit der langen Bar. Eine gute Mischung von Männern und Frauen stand in Grüppchen herum, man trank und unterhielt sich, tauschte Geschäftskarten und Klatsch aus. Sie zahlte ein Perrier mit Limone und wünschte, sie könnte den widerlichen Geruch von Robertas Maiglöckchenparfum aus der Nase
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