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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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ich diese Waffe in der Hand. Ich wünschte mir, ich hätte sie niemals gefunden.
    König Rudolf kämpfte drei Tage lang gegen den Tod an. Die ganze Zeit über lag das Rosenschwert neben ihm. Ich hatte es ihm gebracht, wie ich es ihm einst versprochen hatte. »Lass es noch eine Weile bei mir, Waldo, mein Freund«, bat er mich, als ich es neben ihn legte. »Vielleicht geben mir die Splitter vom Kreuz des Erlösers die Kraft zu überleben. Es tröstet mich, sie so nahe bei mir zu wissen.«
    So blieb das Schwert bis zuletzt an seiner Seite. Es schien seine Schmerzen wirklich etwas zu lindern. Trotz seiner schweren Wunden scherzte er sogar, als er hörte, dass seine Männer einen überwältigenden Sieg über Heinrich errungen hatten, dass sein Rivale bei Nacht und Nebel wieder einmal geflohen, seine Streitmacht zerschlagen und in alle Winde zerstreut war.
    »Unter diesen Umständen darf ich ja jetzt eigentlich nicht sterben«, meinte er unter großen Qualen, aber glücklich, zu den Fürsten, die sich um sein Lager versammelt hatten. »Schließlich werde ich wohl noch als König gebraucht. «
    Da sank selbst der hartgesottene Otto von Northeim vor ihm in die Knie, sein hartes Gesicht wurde weich, in seinen Augen standen Tränen. »Ich war nicht immer glücklich darüber, dass Ihr gewählt wurdet, mein König. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht. Doch eines schwöre ich Euch hier vor allen Zeugen. Wenn der Allmächtige Euch am Leben erhält, dann werden Otto von Northeim und die Sachsen zu Euren Lebzeiten niemals einen anderen König wählen. Selbst dann nicht, wenn Euch die Feinde beide Hände abhacken. «
    »Ich danke Euch, Northeim«, erwiderte Rudolf leise.
    Dann wandte er mir den Kopf zu. Er sah wohl schon den Tod, der ganz nahe an seinem Lager stand und geduldig auf ihn wartete. »So habe ich also gesiegt und doch alles verloren. Waldo, bring die Stücke vom Kreuz des Erlösers nach St. Blasien.«
    Mit diesen Worten starb er. Er erfuhr nicht mehr, dass sein Sohn Berthold in der Schlacht bei der Elster schwer verletzt worden war. Er würde überleben, aber niemals mehr in der Lage sein, einen Erben für das Haus Rheinfelden zu zeugen. Er erfuhr auch nicht, dass sein Neffe Kuno von Genf im Tod den Frieden gefunden hatte, den er sich so sehnsüchtig gewünscht hatte.
    Aber eine andere erfuhr es, als sie an das Grab ihres Vaters kam: Adelheid, die Königin von Ungarn. Ich erzählte ihr von Kunos letztem Kampf, von seiner Tapferkeit — und von seiner großen Liebe zu ihr. Sie weinte nicht, während ich redete. Zumindest äußerlich sah ich keine Tränen. Sie hielt den Kopf gesenkt und blickte auf ihre Hände hinunter. Ihre Finger waren weiß, und ihre Ringe hatten in ihr Fleisch geschnitten, so heftig hatte sie sie zusammengepresst, um die Beherrschung nicht zu verlieren.
    Sie bat mich mit erstickter Stimme, ihr Kunos Grab zu zeigen. Ich führte sie hin. Dann ließ ich sie allein. König Rudolf wurde unter großen Ehren im Dom von Merseburg beigesetzt. Sein Sohn Berthold, der sich zu jener Zeit Herzog von Alemannien nannte, musste zu der Feier getragen werden, denn seine Verwundungen waren sehr schmerzhaft. Agnes und Adelheid, Rudolfs Töchter, gaben eine kunstvolle bronzene Grabplatte in Auftrag, die der Nachwelt sein Abbild für immer erhalten sollte, zur Erinnerung an einen großen König und einen außergewöhnlichen Menschen.
    »Rex illi similis si regnet tempore pacisconsiliogladio nun ruit a Karolo«. Die Worte der Inschrift waren gut gewählt: »Hätte er in Frieden regieren können, kein König seit Karl wäre ihm an Tapferkeit gleichgekommen.«
     
    Adelheid, die nun Königin von Ungarn war, und ich standen lange Zeit an Rudolfs Grab, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
    »Sag mir, Waldo, hat sich sein Kampf gelohnt? Hat er gewonnen oder verloren? Worin liegt der Sinn von alldem? Hat der Allmächtige das so gewollt?« fragte sie schließlich. Die Frage jedoch, die sie ebenfalls beschäftigte, sprach sie nicht laut aus: Hat es sich gelohnt, dass ich mich fügte und den Mann verließ, den ich liebte?
    »Ich weiß es nicht«, musste ich eingestehen. »Ich weiß nicht mehr, was der Allmächtige will oder welcher Sinn in alldem liegt. Ich weiß noch nicht einmal mehr, ob es ihn überhaupt gibt. Verzeiht mir. Aber ich kann Euch keinen Trost spenden, wenn ich aufrichtig bin, so gerne ich das auch würde. Natürlich, ich könnte Euch all die Worte sagen, die ein Mann der Kirche sagt, wenn ein Mensch stirbt.
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