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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur
Autoren: Henry David Thoreau
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Verhältnisse, für die wir geschaffen sind, noch nicht vorhanden sind, gibt es dann eine Wirklichkeit, die wir an ihre Stelle setzen könnten?
    Wir wollen doch nicht an einer falschen Wirklichkeit Schiffbruch erleiden. Sollen wir mühsam über uns einen Himmel aus
    blauem Glas errichten, wenn wir genau wissen, daß wir dann immer noch zu dem wahren Ätherhimmel hoch darüber
    aufblicken werden, als ob der andere nicht vorhanden wäre?
    In der Stadt Kuru lebte ein Künstler, der das Verlangen nach Vollkommenheit in sich trug. Eines Tages fiel es ihm ein, einen Stab anzufertigen. In der Erwägung, daß ein unvollkommenes Werk an die Zeit gebunden, ein vollkommenes aber zeitlos ist, sagte er sich: »Und wenn ich mein ganzes Leben nichts
    anderes machen sollte - der Stab soll in jeder Beziehung
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    vollkommen sein!« Er ging sofort in den Wald, um das
    geeignete Holz zu suchen, denn auch das Material sollte entsprechend sein. Während er immer weiter suchte und einen Stock nach dem anderen verwarf, verließen ihn nach und nach alle seine Freunde, denn sie wurden alt über ihrer Arbeit und starben. Er aber wurde keinen Augenblick älter. Seine
    Zielstrebigkeit und Entschlossenheit, seine erhabene
    Frömmigkeit hatten ihm ohne sein Wissen ewige Jugend ver liehen. Da er keinen Kompromiß mit der Zeit geschlossen hatte, ging ihm die Zeit aus dem Weg und seufzte nur von weitem, weil sie keine Macht über ihn besaß. Ehe er einen Stock fand, der ihm in jeder Beziehung geeignet schien, war die Stadt Kuru zur Ruine zerfallen. Er aber saß auf einem der Trümmerhaufen und entrindete den Stock. Noch bevor er ihm die richtige Form gegeben hatte, starb die Dynastie der Kandahare aus, und er schrieb mit der Spitze des Stockes den Namen des Letzten jenes Geschlechts in den Sand; danach nahm er sein Werk wieder auf. Als er den Stab geglättet und poliert hatte, war Kalpa nicht mehr der Polarstern; und ehe er die Zwinge an dem Stab angebracht und den Griff mit kostbaren Steinen verziert hatte, war Brahma viele Male erwacht und wieder
    eingeschlummert. Warum aber verweile ich so lange, um dies zu erzählen? Als er seinem Werk den letzten Schliff gegeben hatte, dehnte es sich vor den Augen des erstaunten Künstlers plötzlich aus und verwandelte sich in die schönste aller Schöpfungen Brahmas. Er hatte eine neue Ordnung
    geschaffen, indem er einen Stab machte, eine Welt vollkommener und klarer Proportionen, in der anstelle der alten, dahingegangenen Städte und Dynastien schönere und
    ruhmreichere erstanden. Und an dem Haufen frischer
    Holzspäne zu seinen Füßen erkannte er, daß für ihn und sein Werk der frühere Ablauf der Zeit eine Illusion gewesen und nicht mehr Zeit verstrichen war, als ein einziger Funke aus dem Gehirn Brahmas braucht, um niederzufallen und den Geist eines Sterblichen zu entzünden. Das Material war rein, und seine Kunst war rein; wie konnte das Ergebnis anders sein als
    »Wundervoll« ?
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    Welches Gesicht wir einer Sache auch geben, keines wird uns letzten Endes so zustatten kommen wie das der Wahrheit. Sie allein bewährt sich. Meistens sind wir nicht dort, wo wir uns befinden, sondern an einer falschen Stelle. Einer Schwäche unserer Natur zufolge setzen wir einen Zustand voraus und versetzen uns in ihn hinein, befinden uns folglich zur gleichen Zeit in zwei Zuständen und haben es doppelt schwer, wieder herauszufinden. Nur in gesunden Augenblicken sehen wir die Tatsache - das, was ist. Sage, was du zu sagen hast, und nicht, was du glaubst, sagen zu sollen. Jede Wahrheit ist besser als eine Vorspiegelung. Tom Hyde, der Kesselflicker wurde, als er unter dem Galgen stand, gefragt, ob er noch etwas zu sagen habe. »Sagt den Schneidern«, antwortete er, »daß sie daran denken, in den Zwirn einen Knoten zu machen, bevor sie den ersten Stich tun.« Die letzten Worte seines Genossen sind vergessen.
    Mag dein Leben noch so armselig sein, nimm es auf dich und lebe es; versuche nicht, dich darum zu drücken, und
    beschimpfe es nicht. Es ist nicht so schlecht wie du. Es sieht am ärmsten aus, wenn du am reichsten bist. Der Krittler wird auch am Paradies etwas auszusetzen haben. Liebe dein
    Leben, arm wie es ist. Selbst in einem Armenhaus kann man vergnügte, ergreifende und erhebende Stunden erleben. Die untergehende Sonne spiegelt sich in seinen Fenstern genau wie in denen eines Palastes, und der Schnee davor schmilzt zur gleichen Zeit. Ich sehe nicht ein, warum ein ausgeglichenes Gemüt im
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