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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition)
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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Geruch seines Blutes.
    »Ich könnte Sie anzeigen, das wissen Sie!«
    Die Stimme des Mannes war sanft, er war daran gewöhnt, Befehle zu erteilen. Er sah von oben auf sie herab; das Lächeln, das um seinen Mund mit dem Schnurrbärtchen spielte, brachte Roberta so auf, dass sie sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, nicht mit Fäusten auf ihn loszugehen. Er warnicht wesentlich jünger als sie; die Ledergamaschen, die er trug, glänzten, bestimmt waren sie neu.
    »Sie haben meinen Hund erschossen!«
    »Sie haben ihn frei lassen. Das dürfen’s nicht!«
    »Sie haben ihn getötet.«
    »In meinem Wald wird nicht gewildert!«
    »Mein Hund wildert nicht. Sie haben ihn erschossen!«
    Der Mann lachte trocken auf und trat einen Schritt auf sie zu. Er hatte die österreichische Fahne als Anstecker am Rever seines grünen Jankers.
    »Ach geh! Ist doch bloß ein Hund. Kaufen’s sich halt einen neuen. Einen jüngeren.«
    Der verächtliche Tonfall passte zur unbewegten Miene des Mannes. Er hatte sich das Gewehr an einem Lederriemen über die Achsel gehängt und einen Zigarillo angesteckt. Er inhalierte, hustete, drückte kurz die Augen zu und ließ den Rauch durch die Nasenlöcher ausströmen. Er tippte mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Jägerhutes, drehte sich um und ging weg. Auf einer Tanne saßen Krähen, vorwurfsvoll schweigende, glänzende Achate, von denen sich Roberta beobachtet fühlte, beobachtet und verhöhnt.
    »Scheißköter, räudiger.«
    Er hatte es leise gesagt, aber doch laut genug, dass sie es hören musste. Roberta bettete Prinz auf den weichen Waldboden, sah den Stein, der neben ihr lag, dunkelgrau, fast schwarz, packte ihn und stand auf. Der Mann hörte sie, kurz bevor sie ihn einholte, er stand bei einer Tanne, von der sich die Rinde löste; er drehte unmerklich den Kopf, als genüge es, aus den Augenwinkeln zu sehen, was in seinem Rücken vor sich ging. Sie blieb stehen, holte tief Luft und hob denStein hoch über ihren Kopf. Ich weiß genau, was ich tue, dachte sie, dann schlug sie dem Mann den Stein mit voller Wucht auf den Schädel.
    Es gab ein Knacken, als habe sie die Schale einer zu trockenen Baumnuss geöffnet. Der Mann, der ihren Hund erschossen hatte, ging mit einem erstaunten Stöhnen in die Knie, bevor er vornüber auf sein Gesicht fiel. Roberta blieb reglos stehen, ohne sich um ihn zu kümmern. Sie fühlte nichts für ihn, nur Hass, nichts sonst. Sie ließ den Stein auf seine linke Wade fallen und lief zu Prinz zurück.
    Es hatte leicht angefangen zu schneien, als sie sich schließlich erhob. Sie musste sich gleich wieder hinsetzen, weil ihr schwarz wurde vor Augen, weil ihre Beine nachgaben. Wie lange hatte sie die Zeit vergessen? Sie fror. Es war dunkel geworden, das Dämmerlicht zwischen den Bäumen verwandelte das eben noch lichte grüne Gewölbe des Waldes in eine bedrohliche Kammer, in der Schatten Theater spielten, aus Ästen Arme wurden, die nach ihr griffen, aus Baumverwachsungen und Wurzeln Köpfe, aus Stämmen Männer ohne Gesichter. Prinz fühlte sich kalt an.
    Sie ging zu dem Mann hinüber, kauerte sich neben ihm hin und drehte ihn auf den Rücken. Er war tot. Sie hatte ihn erschlagen. Es dauerte nicht lang, und sein Gesicht, der grüne Janker und die braunen Hosen mit der grün abgesetzten Seitennaht waren mit Schnee bedeckt, als sei er bestäubt. Die Hirschhornknöpfe seines Jankers sahen aus wie die, die ihr Vater geschnitzt hatte. Sie blieb neben dem Toten kauern, bis es ganz dunkel war. Sie empfand keinerlei Mitgefühl für ihn, er hatte den Tod verdient. Er hatte eine Narbe auf der Wange,das war selbst durch den Schnee zu erkennen. In seinen Wimpern und in den Borsten seines Schnurrbartes hingen Eiskristalle. Das Blut, das sich auf dem Waldboden um seinen eingeschlagenen Kopf ausgebreitet hatte, glänzte und wirkte schwarz im milchigen Licht. Er stank nach Tabak.
    Der Uferweg lag verlassen unter ihr, eine dunkle Grenzlinie zwischen dem winterlichen Wald und dem See, der aussah wie mit flüssigem Blei ausgegossen. Das Massiv des Höllengebirges erinnerte sie in diesem Licht an einen gewaltigen Wirbelknochen, ein gebleichtes Skelett. Wie kalt es plötzlich war! In der verschneiten Stille klang ihr Atem erschreckend laut, das Geräusch ihrer Schritte musste bis ans andere Ufer zu hören sein. Wie friedlich die Welt doch aussah, jetzt, da dünner Schnee sie bedeckte. Ich lebe noch, hörte Roberta sich flüstern. Hinter ihr rauschte Wind in Kiefern und Tannen, Schneestaub
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