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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe
Autoren: Lea Singer
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kaum ist die Tür zu. »Ich will, daß du es selber tust.«
    Mathilde setzt sich auf den Sessel, öffnet ihre Schuhe und zieht die Strümpfe aus. Sie weiß, daß er ihr zusieht. Aber längst fühlt sie sich dabei nicht mehr unsicher, im Gegenteil. Sogar der große Spiegel in seinem Atelier – sie huscht nicht mehr daran vorbei, aus Angst, er offenbare ihr schreckliche Wahrheiten. Manchmal bleibt sie sogar kurz davor stehen und lächelt ihr unmerkliches Lächeln.
    Er zieht sie an beiden Händen hoch, als sie nackt ist. Mathildes Blick ist abwesend. »Ich weiß«, sagt er, »daß du jetzt an ihn denkst. Daß sie morgen seinen Geburtstag groß feiern, wie üblich. Aber ohne dich und ohne mich. Und daß sie sich das Maul über uns zerreißen.« Mathilde sagt mit den Augen: Ja.
    »Dann laß uns diese Gedanken einfach weglieben.«
    |223| Noch erhitzt, noch mit beschleunigtem Atem steht er eine halbe Stunde später auf. Ohne sich zu waschen geht er die paar Schritte hinüber ins Atelier. Als Mathilde nach ihm sieht, ein Glas Wasser in der Hand, malt er wie in einem Rauschzustand. Sie legt eine rehfarbene Decke auf den Sessel, setzt sich darauf und schaut ihm zu. Und sieht, was sie noch nie sah: Er ist nicht angespannt wie sonst. Nein, er ist außer sich. Sein nackter Körper, der niemals tanzt, biegt sich auf einmal und schwingt, sein Geschlecht pendelt, sein linker Arm mit der Palette bewegt sich wie zu einer ekstatischen Musik. Sein Haar, das er in den letzten Wochen so lang hat wachsen lassen, fällt immer wieder ins Gesicht, bleibt kleben, bis er es mit dem Handrücken, ohne den Pinsel loszulassen, wegstreicht. Mathilde kann zusehen, wie sein Körper feucht wird, naß wird, glänzt. Obwohl es ihr kühl ist, kann sie sich nicht aufraffen, ihren Platz zu verlassen, zieht nur die Decke eng um sich und schaut.
    Es braucht keine Stunde, bis er beide Arme sinken läßt, den Kopf in den Nacken wirft, mit aufgerissenem Mund stöhnt. Da erst steht sie auf und tritt neben ihn. Nackt, die Decke, die sie am Zipfel festhält, schleift auf dem Boden.
    »Was ist das? Was hast du dir da hingemalt an der rechten, also ich meine deiner linken Seite? – Einen Schnitt? Eine Wunde? Und was hältst du da in der Hand?«
    »Man könnte es für einen Schatten halten und das andere für eine Palette«, grinst er.
    »Nie« sagt sie. »Nie im Leben. Es sieht aus, als hättest du dir dein Herz aus dem Leib gerissen und hieltest es in der Hand.«
    |224| »Schön, daß du es so siehst«, sagt er. »Es gehört nämlich dir.«
    »Was? Das Bild oder – das Herz?«
    Gerstl schweigt.
    »Sag was, Richard, bitte sag was.« Ein Bibbern durchläuft sie.
    Er nimmt die Decke, die sie an einem Ende hält, und legt sie um ihre und seine Schultern wie eine wollene Schale. »Wir sind zwei Einsame, die sich beschützen und anfassen und miteinander reden über das, was ihnen angst macht. Vielleicht ist das Liebe.«
    Minutenlang stehen sie vor dem Bild. »Mein Herz«, sagt er schließlich.
    »Ja?«
    »Ich weiß, daß du an deine Kinder denkst.«
    »Ja, wenn du schon von der Liebe redest.«
    Beide frieren sie auf einmal in ihrem Gehäuse.
    »Irgendwann holen wir sie uns«, sagt er und wickelt die Decke enger um beide. »Irgendwann, ganz bestimmt.«
    Mathilde und Gerstl sehen sich im Spiegel stehen, ein braunes Tier mit zwei blassen Köpfen. »Ach, bis dann habe ich sie verloren«, sagt sie, »und werde sie nie mehr finden.«

    Er hat gerade den Rest des Rotweins in die beiden Gläser geschenkt.
    Die Teller haben sie schon von sich geschoben, aber die Wohnung riecht nach Mathildes Erdäpfelnudeln. Es klingelt in dem Augenblick, als sie ihr Glas hebt, um mit ihm anzustoßen.
    |225| »Wer kann das sein?« Sie flüstert, ohne zu wissen, warum sie flüstert.
    »Geh nicht«, sagt er. »Es kann niemand für uns sein. Wir haben nicht mal ein Schild an der Haustür. Und an der Wohnung steht auch nur eine Nummer, sonst nichts.« Doch er steht auf, knöpft seine Schnürsenkel auf, zieht die Schuhe aus, geht zu ihr, kniet sich hin, zieht auch ihr die Schuhe von den Füßen, greift ihre Hand. Wie eine Schlafwandlerin tappt sie neben ihm her durch das Atelier. Ohne ihre Hand loszulassen, legt er sich auf die Matratze unter der Dachschräge und zieht sie herunter. »Komm, leg dich zu mir.«
    Angezogen liegen sie hintereinander, ihr Rücken an seinem Bauch, als müßten sie einander wärmen. Gerstl faßt von hinten an die Knöpfe, mit denen Mathildes Bluse verschlossen ist. Er
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