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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe
Autoren: Lea Singer
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der alles erlaubt sein würde.
    Gerstl holt sich die Leiter, die an der Mühle lehnt, knüpft die Seilreste aus dem Geäst und geht damit in die Wohnung.
    Unter dem Bett zieht er seinen Koffer heraus und bettet die Seilreste hinein.
    »Was willst du denn damit?« fragt Mathilde.
    »Man weiß nie«, sagt er und, noch am Boden kniend: |217| »Weißt du, wann dein sogenannter Mann seinen heutigen Gottesdienst beendet?«
    Mathilde gießt Wasser aus dem Krug in die Schüssel und schwappt es sich mit beiden Händen ins Gesicht. Sich trocknend fragt sie: »Du hast also aufgehört, ihn zu bewundern?«
    Gerstl ist hinter sie getreten und umfängt von hinten mit beiden Händen ihre Brüste. »Aufgehört ihn zu bewundern? Na ja, ich habe angefangen, nüchtern zu hören … oder zu sehen, was bei mir dasselbe ist. Was dein Mann macht, das ist ein … ein monumentales Abirren. Aber Anarchie, wirkliche, mutige Anarchie ist das nicht.«
    »Was dann?« sagt Mathilde.
    »Eine bis zur Absurdität getriebene Übersteigerung von seinen Widersprüchen. Ein wackliger Turm aus Bauklötzen, eine sehr labile Ange …«
    »Ich weiß. Deswegen braucht er mich.« Mathilde legt ihre Hände auf die von Gerstl. Der reißt sie zu sich herum, küßt sie, lutscht, saugt, beißt, hinunter bis zum Hals und sagt in die Kuhle am Schlüsselbein hinein: »Nein, nein. Er braucht nicht dich, er braucht etwas wie dich.« Gerstl hebt sein Gesicht und öffnet ihr dünnes Kleid.
    Mathilde schaut auf die Wand, auf die Holzbalken und die Astlöcher. »Was meinst du damit?« fragt sie ruhig, während er das Kleid von ihren Schultern streift und über die Hüften nach unten schiebt.
    »Er braucht nur jemand, der deine Funktion übernimmt – eine tragende Wand.«
    Mathilde scheint nicht zu bemerken, daß sie schon weitgehend nackt dasteht. Sie klingt nüchtern. »Gut, wahrscheinlich hast du recht und ich bin nicht mehr als das. Aber wenn dir einer sagt: ›Du, ich mache nichts |218| Schlimmes. Ich breche nur in dem Haus, in dem du sitzt, die tragende Wand heraus und nehme sie mit.‹ Was tust du dann? Ihn machen lassen oder …«
    Gerstl lächelt sie verkrampft, wie unter großen Schmerzen an. »Ihn umbringen! Sofort umbringen. Du hast ganz recht. Erschlagen, erwürgen, erschießen, bevor er Hand anlegt. Aber ich bin ziemlich sicher: Er merkt es erst, wenn die Wand fehlt. Aber ich …«
    Er zerrt das Hemd über seinen Kopf, reißt seine Hose herunter, macht die Augen zu und schiebt vorsichtig seine linke Hand zwischen Mathildes Schenkel. »Ich … wenn ich mit dir schlafe, verwandeln sich meine Glieder durch deine Berührungen in bunte Gebilde. Mir ist dann, als wäre mein Körper innen hohl und die Farben würden von innen auf die Haut projiziert, verstehst du? Wunderbare Farben. Das Blau eines Frühlingshimmels, das Grün von Tannen, das Violett von Veilchen, das Rot von reifen Erdbeeren, das Orange von Aprikosen, das Grün vom ersten Birkenlaub …«
    Mathilde gibt jenen tiefen brummenden Ton von sich, den Gerstl mehr liebt als jede Musik. Er kniet sich hin, die Hose noch um die Füße, das Gesicht vor ihrem Venushügel. Er atmet tief ein. »Wie gut du riechst. Dein Geruch allein macht mich andächtig.«
    Keiner der beiden hat ihn die Tür öffnen hören. Schönberg steht da, die Hände hinter dem Rücken.
    »Hure«, sagt er. »Du alte Hure.« Wortlos dreht er sich um und geht davon. Geht den Weg zurück zum Hoisn, in sein Zimmer, zu seinen Noten. Eine Flasche Marillenbrand steht daneben und ein leeres Wasserglas.
    Irgendwann hört er Mathilde hereinkommen, die offenbar die Kinder eingesammelt hat, hört sie mit ihnen reden, herumtappen, die üblichen Geräusche machen.
    |219| Von da an ist sie vergessen. Er spürt, wie er sich ablöst, hat das Gefühl, erhoben zu werden. Georges Worte klingen in ihm wie Verheißung. Und Mathildes Bemerkung, sie finde alles das unerträglich pathetisch, versickert in einem dunklen Ausguß.
    Ich löse mich in tönen, kreisend, webend,
    Ungründigen danks und unbenamten lobes
    Dem großen atem wunschlos mich ergebend.
    Das ist er, das ist jene über alles erhabene Weite, die er in sich spürt.
    Durch das kleine offene Fenster sieht er hinüber zum Zimmer der Schülerin. Er weiß, daß sie wach dort liegt. Nackt und alleine liegt sie dort. Das hat sie ihm gesagt, zweimal. Vom Wasser bahnt sich durch die Wärme pfeilgerade ein frischer, kühler Luftzug, fremd riechend, als käme er von weit her, von einem fernen, unendlich viel
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