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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe
Autoren: Lea Singer
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meistens unerträglich. Die reden begeistert von ihren Meinungen, ihren Eindrücken und ihren Auffassungen.«
    »Und?« Gerstl gelingt es noch immer nicht, Schönbergs Blick einzufangen. Der betrachtet sein Bild und spricht nur zu ihm. »Ich merke dann sofort, daß sie eigentlich gar nicht auf das, was ich ihnen sagen werde, neugierig sind, sondern auf das, was sie mir sagen werden.« Er wischt sich mit dem Handrücken die nasse Oberlippe ab. »Und das ist verkehrt. Das ist eine Belästigung. Ich kläre jeden gern auf, der mich fragt, aber wenn jemand mit mir reden will, hat er den Mund zu halten.«
    Gerstl wundert sich, wie sanft seine Stimme klingt, als er fragt: »Wie soll er dann
mit
Ihnen reden?«
    Schönberg hört diese Frage offenbar nicht. »Wissen Sie, Gerstl, mir geht es drum, mich, und zwar nur mich, ganz unmittelbar auszudrücken. Völlig unmittelbar. Ohne Rücksicht auf – auf – …«
    »Ja, ich weiß. Das käme Ihnen nie in den Sinn. Nie im Leben.« Gerstl grinst, was Schönberg nicht wahrnimmt. |209| Der steht breitbeinig da, erfüllt von sich und seinem Werk. Als das dünne Mädchen kommt und nach den Wünschen der beiden Herren fragt, bestellt er sich einen gespritzten Veltliner und einen Schlehenschnaps und redet sofort weiter. »Ich sage Ihnen eins, Gerstl: Möglichst wenig Kompromisse – das ist das Äußerste, was wir erreichen können. Vergessen Sie doch diese ängstliche Gefallsucht. Ich, ich will niemandem gefallen. Überhaupt niemandem.«
    »Sind Sie da sicher? Ich meine – jeder will doch zum Beispiel einem Menschen, den er liebt, gefallen, oder?« Gerstl winkt das Mädchen noch mal zurück und bestellt für sich ein Viertel Blaufränkisch, unverdünnt.
    Schönberg nimmt das Selbstporträt von der Staffelei, setzt es vorsichtig auf einem Gartenstuhl ab und überprüft, ob es auch sicher lehnt.
    Nun steht oben auf der Staffelei das nächste seiner Bilder.
    »Aha, noch ein Selbstporträt«, sagt Gerstl.
    Schönberg entkommt ein Lächeln, als er es ansieht. Es ist ein zufriedenes Lächeln.
    »Sie wissen es doch, Gerstl: Ich komponiere nicht und sage nicht, was die Leute hören wollen, sondern was sie hören sollen.«
    »Gilt das jetzt für Ihre Arbeit oder auch für Ihre Person?«
    »Die Frage aus Ihrem Mund? Da muß ich mich schon sehr wundern. Meine Sache ist meine Person. Und wer die Sache vernachlässigt, beleidigt automatisch die Person. Also, wie finden Sie das hier?«
    »Warum haben Sie die Haut blau gemalt?«
    »Das fragen Sie, wo Sie doch jedem Ihre bizarre Theorie von der Lebenstemperatur auseinandersetzen? |210| Das soll selbstverständlich eine gewisse, sagen wir mal, Gedankenkühle darstellen.«
    »Brennen Sie denn nicht, wenn Sie malen?«
    Schönberg lacht. »Ich und brennen? Ich brenne überhaupt nicht, auch nicht beim Komponieren. Diese Vorstellung von der lodernden Leidenschaft im Künstler – ach, Gerstl, das ist doch ein Klischee unter sentimentalen Nichtskönnern.«
    »Ah so – dann ist dieser van Gogh für Sie auch ein … sentimentaler Nichtskönner? Ich lese gerade seine Briefe, und da ist dauernd die Rede von der Flamme, von dem Feuer in ihm, das er nicht ersticken will …«
    Schönberg nimmt den Schnaps und den Gespritzten in Empfang, kippt den Schnaps sofort und sagt, während er das Glas abstellt: »Soviel ich weiß, hat der Kerl sich erschossen. Ich sage Ihnen: In der Kunst sollte es keine Aufgeregtheit geben. Wahre Kunst ist kalt.« Gerstl hält sein Rotweinglas umklammert, als wäre es bleischwer. »Und der Mensch dahinter?«
    »Hat es genauso zu sein«, sagt Schönberg. »Es geht mir in diesem Bild eben darum – um die Idee der überlegenen Kühle. Für mich haben Farben überhaupt nur den einen Sinn, Ideen deutlich zu machen.«
    »Und wie steht es mit Gefühlen?«
    Schönberg stöhnt auf. »Ach, Gefühle, mein Gott. Mit Gefühlen ist es wie mit Melodien. Nur unreife junge Frauen dürfen für so etwas schwärmen. Die Melodie ist die primitivste Ausdrucksform der Musik. Melodie behandelt den Verständigen wie einen Idioten. Jeder noch so Begriffsstutzige kapiert sie. Das langweilt.«
    Noch immer stehen die beiden nebeneinander, ohne sich anzusehen und schauen auf das blaue Selbstporträt.
    »Gut, mich langweilen die Walzer von Schrammel |211| auch, die jeder Depp nachpfeifen kann. Die haben ein ganz infames, süßes Himmelblau, völlig fad, stumpf, totgestrichen. Und Ihre Musik fordert mich. Aber was Gefühle angeht – wie können Gefühle langweilig
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