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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe
Autoren: Lea Singer
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größeren Gewässer. Ihm ist, als atmete ihn selbst etwas an. Er fühlt sich groß und grenzenlos. Ist das Unsterblichkeit?
    Um Mitternacht legt Schönberg den Stift hin und geht in die Kammer nebenan mit dem Bett.
    Das Bett ist leer.
    Mit der flachen feuchten heißen Hand schlägt er sich auf die Stirn. Er schlägt sich auf die Stirn, bis es weh tut. Ja, er ist wach. Wach. Ächzend, als schleppte er eine Last, hastet er durch die von Gerüchen schwere Nacht. Ein Vogel spottet.
    Es sind nur ein paar Schritte hinüber. Vor dem Holzhaus, in dem sein Schüler Krüger schläft, pfeift er die ersten Takte aus seinem neuen Quartett. Alle seine Schüler kennen ihn, diesen schnellen ungewöhnlichen Beginn. Der kahle Kopf erscheint in dem Fenster unter dem Dach.
    |220| »Krüger, kommen Sie runter.«
    »Was ist los?«
    »Meine Frau ist mit Gerstl davon. Kommen Sie. Kommen Sie mit mir nach Gmunden. Wir müssen sie finden. Also, was ist – kommen Sie jetzt mit?«
    Da steht Krüger schon unten. Das Hemd hat er sich nur übergeworfen, es hängt lang über die Hose. Er nickt, während er es hineinstopft und sich ordnend über die Glatze streicht.
    »Zuerst muß ich es den Kleinen schnell sagen, daß wir wegfahren«, sagt Schönberg.
    Stumm gehen sie zurück zu dem dunklen Haus.
    Das Zimmer ist warm und duftet so, wie Kinder duften. Beide liegen im Bett versunken in der Tiefe ihrer Träume. Schönberg greift in Trudis Bett hinein. Das Kissen ist feucht. Er faßt unter den Oberkörper und versucht, sie herauszuheben. Den Kopf im Nacken schläft sie weiter.
    Stöhnend läßt er sie los: Wie schwer ein schlafendes Kind ist. Er packt ein zweites Mal an, reißt sich dabei am Holz des Betts den linken Handrücken auf, flucht und schafft es nur mühsam, die Tochter herauszuwuchten. So wie Schönberg sie im Arm hält, sieht sogar Krüger, daß er das selten gemacht hat. Wie jeden Abend hat Mathilde die Haare der Kleinen, tagsüber zu festen Zöpfen geflochten und zu Schaukeln hochgebunden, aufgelöst. In schimmernden Wellen fließt das seidige Haar um den runden Kinderleib.
    Trudi reißt die Augen auf, glotzt den Vater an, sieht Krüger neben ihm. Ihr Mund verzerrt sich, die Tränen quellen, der Körper wird gebeutelt. Schönberg hat Mühe, ihn festzuhalten. »Jetzt heul doch nicht, Trudi. Heul nicht. Die Mama kommt ja wieder.«
    |221| »Nein, die Mama kommt nie wieder«, schluchzt sie. »Nie, nie, nie.«
    Schönberg legt sie ins Bett zurück. Und streicht ihr ungeschickt über die Wange. »Schlaf jetzt. Krüger und ich fahren nach Gmunden und bringen die Mama heim.«
    Sie gehen zur Tür und hören Trudi deutlich und trocken: »Ihr braucht nicht fahren. Sie kommt bestimmt nimmer. Ganz bestimmt nicht.«

    Der Teich ist fast ausgetrocknet. Ohne Sehnsucht hängen die Zweige der Trauerweiden hinein. Als bemerkten sie das nicht, blühen die Astern und Dahlien in den Beeten in schreienden Farben.
    Es ist später Nachmittag. Der Himmel verfärbt sich grünlich. Die große Buche davor ist halbnackt und ihr Laub kräuselt sich.
    »Sieht nicht gesund aus, der Baum«, sagt Mathilde. »Es ist doch gerade erst September. Viel zu früh, um schon die Blätter zu verlieren.« Sie fröstelt.
    Gerstl legt seinen Arm um sie und drückt sie an sich. »Es gibt sogar Bäume, die verlieren im Frühling die Blätter, kaum daß die Blätter gewachsen sind.«
    »Schlimm«, sagt sie.
    »Ob das schlimm ist, hängt davon ab, wie du das siehst. Vielleicht fühlt sich der Baum befreit von den Blättern. Vielleicht will er nie mehr welche tragen, weil er weiß, daß er innerlich morsch und verfault ist.«
    Mathilde wendet den Blick nicht von dem Baum. »So sieht der hier aber nicht aus – der ist doch jung.«
    Gerstl dreht Mathilde zu sich und grinst. »Selbst du |222| kannst dich täuschen, sogar du kannst Hinweise übersehen. Aber stell dir doch einfach mal vor: Langsam zu verfaulen, das ist erbärmlich. Armer Baum«.
    »Warum arm?«
    »Weil er sich nicht selber fällen kann, wenn es Zeit ist.«
    Sie umklammern sich auf dem Weg zurück in den Alsergrund, in die Liechtensteinstraße.
    »Es ist Wahnsinn«, sagt Mathilde unten an der verschrammten Haustür. »Völliger Wahnsinn. Ausgerechnet am unteren Ende derselben Straße hast du was gemietet. Als wolltest du insgeheim, daß sie uns finden.«
    Er schließt auf. Sie umschlingen einander so eng, daß sie nur mühsam die muffige Treppe hinaufkommen und immer wieder torkeln wie Betrunkene.
    »Zieh dich aus«, sagt er,
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