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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe
Autoren: Lea Singer
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erledigen.«
    Sie spürt seinen Arm, schließt die Lider, summt den Walzer mit. Und sieht vor sich ein beruhigendes Bild: der verrückte Maler tot.

|35| Er zieht sich aus, hastig und fahrig. Läßt die Unterhose, das Unterhemd, die langen Socken auf den Boden fallen. Mathilde sitzt am Tisch und liest die neueste Partitur ihres Bruders.
    »Machst du mir alles wie üblich?« fragt er, ohne die Stimme zu heben. Und weil sie nicht antwortet: »Ich bin sowieso schon zu spät dran, und du weißt, daß mich ein Besuch beim Direktor immer aufregt.«
    Wortlos steht Mathilde auf. »Ist Alex auch eingeladen?«
    »Sicher«, sagt er und verschwindet in dem gefliesten Verschlag neben der Küche, der sich Badezimmer nennt. Sie klaubt die Unterhose vom Boden, das Unterhemd, die Socken, nimmt das Oberhemd einen halben Meter weiter auch noch mit und sieht dabei, daß der Teppich schon wieder voller Zigarettenasche ist.
    Nackt kommt er zurück und schaut ihr zu, wie sie seine Garderobe auswählt. »Bist du böse?«
    »Nein«, sagt sie, legt ein Hemd heraus, frische Socken und Unterwäsche, eine Weste, eine Krawatte. »Ich bin beruhigt.«
    »Beruhigt? Warum bist du beruhigt?«
    Sie spricht in den Kleiderschrank hinein. »Weil ich gerade wieder feststelle, daß du doch ein ganz normaler Mann bist. Der alles tut, was andere Männer auch tun.«
    Er setzt sich auf einen der Bugholzstühle. Der Stuhl knarzt. »Ich hasse knarzende Stühle. Es ist ein gemeines |36| Geräusch.« Schnaufend zieht er seine Socken an. »Und in welcher Hinsicht bin ich so durchschnittlich?«
    »Du läßt wie jeder Mann die Kleider einfach fallen.«
    Sie reicht ihm die Wäsche.
    »Ich wußte gar nicht, daß du so vielen Männern beim Ausziehen zugeschaut hast.«
    »Ich schaue nicht zu. Ich höre zu, was andere Frauen sagen. Du kannst ja heute abend die Frau Direktor nach ihren Erfahrungen fragen. Aber die Frau Direktor hat sicher auch für so etwas ein Mädchen.«
    Während er die Krawatte bindet und sie seinen Anzug auswählt, schweigt er. Dann will sie aus dem Zimmer gehen. Da holt seine Stimme sie ein. »Ich weiß, du bist verbittert, daß sie dich nie einladen. Es tut mir ja selber leid. Aber was soll ich machen?«
    Mathilde setzt sich nun auf den Stuhl, der unter ihr nicht knarzt. »Nein, ich bin nicht verbittert. Ich habe mich längst daran gewöhnt, daß es zwei Sorten von Geniefrauen gibt. Ich gehöre zur unsichtbaren Sorte und die Frau Mahler zur unübersehbaren.«
    Still sitzt sie da, während er mit seinen Manschettenknöpfen herumfummelt. So lange, bis sie ihn fragt: »Soll ich dir helfen?«
    Eigentlich, denkt sie, während sie die kleinen Silberscheiben durch die Knopflöcher fädelt, müßte sie sich mit dieser Alma Mahler, auch wenn die vor ein paar Jahren ihren Bruder schier um den Verstand gebracht hat, blendend verstehen. Die wird auch wissen, was es heißt, mit einem genialen Mann zusammenzuleben, also mit einem müden, depressiven Egozentriker, der eine Krankenschwester braucht und sie lieber heiratet als bezahlt. Dabei macht Arnold, trotz seines Bauchs, |37| im Gegensatz zum Hofoperndirektor Mahler einen gesunden Eindruck. Jedesmal, wenn sie den sieht, diesen kurzgewachsenen, drahtigen Mann mit seiner steilen Stirn, beschleicht sie das Gefühl, in ihm schwäre etwas, er werde aufgezehrt von innen heraus. Braungebrannt, durchtrainiert ist er, daß er im Sommer fast jeden Tag schwimmt, Spaziergänge im Laufschritt absolviert, ohne Rücksicht auf seine Frau, und bei so gut wie jedem Wetter Rad fährt, weiß jeder in Wien. Doch das könnte Mathildes Sorgen, wäre sie seine Frau, nicht beschwichtigen.
    Schönberg ist fertig. »Man riecht, daß du aufgeregt bist«, sagt Mathilde.
    »Dann geh ich zu Fuß zu den Mahlers«, sagt er. »Bis ich dort bin, ist es verflogen.«
    »Die Aufregung oder der Geruch?« fragt sie.
    Er küßt sie mit dieser Nachlässigkeit, die sich gern Vertrautheit nennt. »Du bist immer so verständnisvoll«, nuschelt er.
    Als die Tür hinter ihm ins Schloß fällt, atmet sie tief durch. Ja, es stimmt: sie versteht ihn. Seine Quartakkorde und seine Liebe zu allem Panierten. Ein so komplizierter Mensch braucht das Panierte, diese besänftigende Vergoldung. Sie versteht, daß er dauernd mit den Füßen wippt unterm Eßtisch und versteht seine Begeisterung für die Gedichte von Stefan George. Der sei so aristokratisch, meint ihr Mann, denn das ist er selber nicht und wäre es in mancher Hinsicht doch so gern. Sie versteht, daß er
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