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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
Autoren: Tanja Kinkel
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sah sie nur an. Langsam öffneten sich seine Finger, und der Schädel kollerte auf den Boden, wo ihn Murray hastig auflas und vorsichtshalber aus dem Raum entfernte.
    Aller Trotz fiel von dem Jungen ab, und er starrte seine Mutter zutiefst verletzt an, so daß Catherine sofort wieder zu sich kam.
    Sie lief zu ihm, umarmte ihn und küßte fiebrig sein Gesicht ab.
    »Mein Kleiner, mein Lieber, ich habe es doch nicht so gemeint.
    Ich liebe dich über alles in der Welt, das weißt du doch.« Er wußte es - schließlich sagte sie es ihm oft genug -, aber während er ihren vertrauten Beteuerungen zuhörte, wußte er auch, daß sie nicht zögern würde, diese neue Waffe wieder zu verwenden, wenn er sie das nächste Mal reizte.
    Von dieser Zeit an hörte Augusta etwas öfter von ihrem Bruder.
    Lord Carlisle, das Howardsche Familienoberhaupt, hatte durch das königliche Landesgericht die Vormundschaft über den unmündigen sechsten Lord Byron erhalten, was ihm ganz und gar nicht behagte. »Wie soll ich einen zehnjährigen Bengel erziehen, den ich nie sehen kann, weil er eine Furie als Mutter hat?
    Entschuldige, Augusta.«
    Lord Carlisle und Catherine begegneten sich nie persönlich, zerstritten sich aber brieflich so heftig, daß der geplagte Carlisle die Vormundschaft an das königliche Gericht zurücksandte. Er bekam sie wieder. Nachdem Catherine eine Reihe der von ihm vorgeschlagenen Erzieher gefeuert hatte, einigten sie sich auf Harrow als passende Lehranstalt für einen Pair von England.
    Der Junge sah in Harrow zunächst einmal eine Art römische Kampfarena mit ihm als Gladiator. Er hatte inzwischen einen regelrechten Fanatismus für alle Sportarten entwickelt, bei denen ihn sein rechter Fuß nicht behinderte. Reiten, Schwimmen, sogar Boxen - alles wurde mit einer wütenden Leidenschaft zur Vervollkommnung gebracht. Er glaubte, daß darin die einzige Möglichkeit läge, von diesen Hunderten fremder Jungen, die bei seiner Ankunft in Harrow alle auf seine Behinderung zu starren schienen, anerkannt zu werden.
    Zum Zeitpunkt seiner ersten Schulferien hatte Augusta ihren Debütantinnenball. Ihre Einführung in die Gesellschaft wurde ein Erfolg, den Lady Holderness - knapp und präzise - an Mrs. Byron weitermeldete. »Deine Schwester Augusta hat ihr Debüt hinter sich, Byron.«
    »Können wir sie nicht jetzt besuchen?«
    »Nein!«
    Als Augusta achtzehn Jahre alt wurde, starb Lady Holderness.
    Catherine schickte ein Beileidsschreiben. Neben der Absicht, der gesellschaftlichen Konvention - von Newstead Abbey aus - Genüge zu tun, bewog sie zu diesem Schritt vor allem die Tatsache, daß Augusta offensichtlich gesellschaftliche Verbindungen hatte, die einem Pair von England später einmal nützen könnten. Sie unternahm daher den Versuch, taktvoll und diplomatisch zu schreiben.
    »Ich werde alle Gedanken über eine Person, die nicht mehr unter uns weilt, vermeiden… Obwohl er doch so wenig von Ihnen weiß, spricht Ihr Bruder mit der größten Zuneigung von Ihnen.«
    Augusta hielt diesen Brief in der Hand und dachte nach. Von Lady Holderness und den Howards beeinflußt, sah das Bild, das sie sich von Catherine Byron machte, wie eine Kreuzung aus Fischweib und schottischer Hexe aus. Catherines Meinung war ihr gleichgültig. Aber ihr Bruder… Sie überlegte. Sie schrieb.
    Und sie erhielt eine Antwort.
    Keiner von beiden konnte später sagen, warum sie sich in diese Korrespondenz stürzten, warum sie sich so völlig dem Entzücken hingaben, an einen fremden Vertrauten zu schreiben, an einen Unbekannten, der einem doch so nahe stand. Vielleicht war es gerade dieser Gegensatz, der sie beide reizte, vielleicht war es das Bedürfnis nach einer Person, die alles verstand,
    »Ach, wie unglücklich war ich bisher durch die Trennung von einer so liebenswerten Schwester! Aber das Schicksal hat mir nun Genüge getan, indem es mich eine Verwandte entdecken ließ, die ich liebe, eine Freundin, der ich vertrauen kann. Als beides, meine liebe Augusta, werde ich Dich immer ansehen, und ich hoffe, daß Du Deinen Bruder nie unwürdig Deiner Zuneigung und Freundschaft finden wirst… Adieu, meine liebste Schwester, und vergiß nicht die Börse, die Du mir stricken willst.«
    Augusta war die einzige, der er von den ständigen Streitereien mit seiner Mutter erzählen konnte. »Meine Unterhaltungen zur Zeit sind Bücher, und meiner Augusta zu schreiben, was immer zu meinen größten Vergnügen zählen wird… wieder ein Streit mit Mrs. Byron. Sie
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